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Eine unbeliebte Frau

Titel: Eine unbeliebte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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»Seine Schwester ist wieder aufgetaucht.«
    »Ich wurde schon von den Kollegen aus Königstein informiert«, erwiderte Pia. »Ich wollte Sie nur nicht schon wieder mitten in der Nacht aus dem Schlaf reißen.«
    »Danke. Sehr rücksichtsvoll«, Bodenstein überlegte, ob er vielleicht allmählich alt wurde, weil er dauernd müde war. »Ich habe Clasing gesagt, dass wir sie um zehn Uhr auf dem Kommissariat erwarten. Haben Sie etwas von Teddy oder Döring gehört?«
    »Teddy kam heute Morgen um fünf nach Hause und sitzt jetzt bei uns in einer Zelle. Döring hat sein Haus bisher immer noch nicht verlassen.«
    »Sehr gut«, sagte Bodenstein, »ich komme gleich ins Kommissariat, dann reden wir mit Teddy und Frau Döring.«
    Er legte sein Handy weg. Die Erinnerung an den gestrigen Abend kehrte zurück. Inka. In seinem Haus, in seinen Armen. Mit einer Mischung aus Frustration und Erleichterung dachte er daran, wie sie ihn kühl und distanziert zurückgewiesen hatte. Die bittere Wahrheit war die, dass ihr offenes Gespräch fünfundzwanzig Jahre zu spät gekommen war.
     
    Robert Kampmann stand vor dem Spiegel in der Diele. Wie schon seit Wochen gefiel ihm auch an diesem Morgen garnicht, was er sah. Alles hatte sich geändert, seit Isabel tot war. Es kam ihm so vor, als sei alle Energie, aller Lebenswille aus seinem Körper gewichen und lediglich eine leere Hülle übrig. Die Hoffnung auf bessere Zeiten hatte sich in Luft aufgelöst. Eines Tages würde alles herauskommen, und dann war er ganz erledigt. »Robert?«
    Seine Frau tauchte plötzlich hinter ihm auf.
    »Ja?« Kampmann bückte sich, um in die ausgetretenen Stallschuhe zu schlüpfen.
    »Kannst du die Kinder in die Schule fahren?«
    »Nein«, er richtete sich langsam auf und verzog dabei gequält das Gesicht. Seine lädierten Bandscheiben verursachten ihm höllische Schmerzen.
    »Wirst du eines Tages wieder mehr als drei Worte am Tag mit mir wechseln, oder bleibt das jetzt so?« Susannes Stimme klang spitz. Er wollte sie nicht ansehen, wollte nicht den kalten Triumph in ihren Augen sehen.
    »Sie ist tot«, sagte sie gehässig. »Das solltest du langsam kapieren.«
    »Ich habe es kapiert«, erwiderte er. »Vor allen Dingen habe ich kapiert, wie sehr dir das gefällt.«
    »Da hast du recht. Ich bin froh, dass es so ist«, sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Jetzt lacht diese kleine Schlampe nicht mehr über mich, und ich brauche keine Angst mehr zu haben, dich mit ihr in irgendeiner Pferdebox zu überraschen.«
    Jedes ihrer Worte schmerzte Kampmann wie ein Messerstich, aber er biss die Zähne zusammen und tat gleichgültig.
    Niemand sollte wissen, wie sehr er Isabel vermisste. Er zog seine Jacke an und verließ das Haus ohne ein weiteres Wort.
    Zuerst ließ er die Hunde aus ihrem Zwinger, die übermütig bellend um ihn herumtollten und die Freiheit genossen. Mitsteifen Schritten überquerte Kampmann den Hof und atmete auf, als er in den allmählich heller werdenden Himmel blickte und feststellte, dass es heute ein trockener, sonniger Tag werden würde. Das bedeutete, dass er die meisten Pferde auf die große Koppel lassen konnte und nicht gezwungen war, sämtliche Scheißtiere seiner bescheuerten Kundschaft zu reiten. Der Gedanke an seine Arbeit verdoppelte seinen Missmut. Er hatte es gründlich satt, jeden Tag die Launen seiner anspruchsvollen Kunden und seiner neurotischen Chefin zu ertragen, er hatte es satt, zehn Pferde am Tag zu reiten, er hatte es satt, freundlich und höflich und gleichmütig zu sein. Aber schlimmer noch als das war das elende Gefühl, gefangen zu sein. Keinen Schritt, keine Bewegung konnte er machen, ohne dass seine Frau ihn mit Argusaugen verfolgte. Seine Sehnsucht nach Freiheit schmerzte in seinem Innern wie eine eiternde Wunde. Er war so nah davor gewesen, dies alles hinter sich lassen zu können! Das Geld für die Reitanlage mit einem kleinen Hotel im Südwesten Irlands direkt am Meer hatte er zusammengehabt, im Geiste hatte er schon das Kündigungsschreiben an die Jagoda aufgesetzt. Aber dann hatte Isabel ihm aus heiterem Himmel mitgeteilt, leider würde doch nichts aus ihren gemeinsamen Zukunftsplänen werden.
    Er ging den gepflasterten Weg zum Stall hinunter, zog seinen Schlüsselbund heraus und schloss die Stalltür auf. Der muffige Ammoniakgeruch drang ihm entgegen, die Pferde begannen zu wiehern. Sechsundfünfzig Pferde warteten darauf, mit Heu und Hafer gefüttert zu werden, sechsundfünfzig Boxen mussten ausgemistet werden.

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