Eine unbeliebte Frau
Bodenstein erkannte. Um seine Augen hatten sich dunkle Hämatome gebildet, die davon zeugten, mit welchem Nachdruck Teddy seinen Auftrag ausgeführt hatte.
»Hallo«, Bodenstein zog einen Stuhl heran. »Wie geht's Ihnen?«
»Besser«, Kerstner verzog das Gesicht. »Der Chefarzt hat vorhin gesagt, ich dürfte vielleicht in ein, zwei Tagen nach Hause.«
»Das ist gut«, Bodenstein lächelte, »da wird sich Ihre Tochter sicher freuen.«
Das Lächeln erstarb auf Kerstners Gesicht. Er richtete sich mühsam auf.
»Meine Tochter?«, flüsterte er.
»Habe ich Ihnen nicht versprochen, dass wir sie finden werden?«
»Das ist ... das ist nicht wahr ...«
»Doch. Sie ist in Argentinien, wird aber morgen von einer Mitarbeiterin der deutschen Botschaft nach Frankfurt gebracht. Spätestens übermorgen haben Sie sie wieder.«
Kerstner holte tief Luft, dann schloss er die Augen und atmete wieder aus. Eine Träne rann über seine Wange, eine zweite folgte. Er öffnete die Augen, und plötzlich strahlte er so glücklich, wie Bodenstein es ihm nicht zugetraut hätte.
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Ich habe es Ihnen schwergemacht, das weiß ich, und es tut mir leid, aber ...«
»Schwamm drüber«, sagte Bodenstein, gerührt von der Freude des Mannes, dem die ganze Zeit über sein Mitgefühl gegolten hatte.
»Sie wissen aber immer noch nicht, wer Isabel getötet hat, oder?«, fragte Kerstner, nachdem er sich wieder gefangen hatte.
»Leider nein«, Bodenstein hob bedauernd die Schultern. »Jeder Verdacht endete bisher in einer Sackgasse, und ich .«
Es klopfte an der Tür, Bodenstein verstummte. Die mopsgesichtige Tierarzthelferin Sylvia Wagner erschien mit einem Blumenstrauß in der Hand. Bodenstein erhob sich.
»Sie haben Besuch«, er reichte Kerstner die Hand, die dieser herzlich ergriff. »Ich wünsche Ihnen gute Besserung und für die Zukunft alles Gute.«
»Danke«, antwortete Kerstner, »Ihnen auch alles Gute. Vielleicht sehen wir uns unter anderen Umständen mal wieder.«
»Das würde mich freuen.«
Die beiden Männer lächelten sich an, dann drehte Bodenstein sich um und ging zur Tür. Und ganz plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, traf ihn die Erkenntnis, auf die er seit Tagen vergeblich gewartet hatte: Sylvia, die unscheinbare Tierarzthelferin, die der Meinung war, dass Isabel einen Mann wie Kerstner überhaupt nicht verdient hatte! Er wandte sich noch einmal um und sah, wie die junge Frau ihrem Chef mit einem schüchternen Lächeln den Blumenstrauß überreichte. Der verliebte, schwärmerische Ausdruck in ihren Augen sprach Bände, aber Kerstner schien ihn nicht zu bemerken.
»Das ist aber nett, dass du mich besuchst«, sagte er. »Komm, setz dich und erzähl mir, wie ihr ohne mich zurechtkommt.«
Bodenstein verließ das Krankenzimmer, aber er ging nur den Flur entlang, durch die Milchglastür der Station und setzte sich in dem großen Raum, von dem aus man in die einzelnen Krankenstationen gelangen konnte, auf einen der Stühle.Sylvia war eifersüchtig auf Isabel gewesen, die körperlich das vollkommene Gegenteil von ihr selbst gewesen war. Sie hatte die schöne junge Frau gehasst, weil diese den Mann hatte, in den sie selbst hoffnungslos verliebt war, und ihn doch verschmähte. Wann hatte Sylvia Wagner den Plan gefasst, die Frau zu töten? Bodenstein fuhr zusammen, als die Tür der Station 23 aufging und die junge Frau mit gesenktem Kopf hinauskam. Sie hatte die Hände in die Taschen ihrer Weste gesteckt und bemerkte Bodenstein nicht, der sich nun erhob und ihr folgte. Erst im Foyer des Krankenhauses sprach er sie an. Das Erschrecken in ihren Augen interpretierte Bodenstein als schlechtes Gewissen.
»W...was wollen Sie?«, stotterte die Frau.
»Ich möchte Ihnen eine Frage stellen«, erwiderte Bodenstein.
»Ich hab's eilig«, die mopsgesichtige Sylvia schien sich ausgesprochen unbehaglich zu fühlen. Sie wich vor ihm zurück.
»Sie mögen Ihren Chef, den Dr. Kerstner, sehr gerne, nicht wahr?«
Sylvia Wagner nickte langsam.
»Sie mögen ihn so gerne, dass Sie es kaum ertragen konnten, wie er von seiner Frau behandelt wurde, oder?« Bodenstein wusste, dass er in diesem Augenblick gegen eine eiserne Regel verstieß, die er selbst einmal aufgestellt hatte. Diese Regel besagte, dass man in einem Verhör keine Suggestivfragen stellen sollte. Genau das tat er jetzt, aber es war ihm egal. Er war felsenfest davon überzeugt, der Mörderin Isabel Kerstners gegenüberzustehen, es schien
Weitere Kostenlose Bücher