Eine unbeliebte Frau
schlüssig, ja, eindeutig, und er war müde und ungeduldig, beides denkbar schlechte Voraussetzungen für gute Ermittlungsarbeit. Auf Sylvia Wagners Gesicht malten sich Verwirrung und Angst, ihre Blicke flogen hin und her.
»Sie konnten Isabel nicht ausstehen.«
»Nein«, sie flüsterte kaum hörbar. Schweiß glänzte auf ihrer Oberlippe, sie atmete schnell. Bodenstein frohlockte innerlich. Gleich hatte er sie so weit!
»Wann haben Sie beschlossen, dass Sie sie töten würden?«
»Wie bitte?«, die Tierarzthelferin Sylvia Wagner, die nach Bodensteins Ansicht völlig aussichtslos in ihren Chef verliebt war und ihn aus einer höllischen Ehe hatte befreien wollen, stellte sich begriffsstutzig.
»Na, kommen Sie schon«, sagte Bodenstein. »Sie haben eine günstige Gelegenheit abgewartet, nachdem Isabel die Klinik verlassen hatte. Sie sind ihr nachgefahren, die Spritze mit dem Pentobarbital hatten Sie dabei, das war ein Leichtes für Sie, schließlich haben Sie Zugang zu der Klinikapotheke.«
»Ich glaube, bei Ihnen tickt's nicht ganz richtig«, Sylvia tippte sich an die Stirn. »Das ist ja wohl die Höhe!«
»Ich muss Sie bitten, mit mir zu kommen.«
»Einen Dreck werde ich tun!« Die Angst in ihrem Gesicht hatte sich in Empörung verwandelt. Sie warf ihm einen verächtlichen Blick zu, ließ ihn einfach stehen und marschierte auf den Ausgang zu.
»Halt!« Bodenstein ergriff sie an der Schulter, doch da drehte sich die stämmige Sylvia mit einer erstaunlich graziösen Bewegung um, packte seinen Arm, und schon schleuderte er mit einem Gefühl der Schwerelosigkeit durch die Luft. Der Schmerz explodierte in seinem Rücken, als er krachend auf den glänzenden schwarzen Fliesen des Krankenhausfußbodens aufschlug. Vor seinen Augen kreisten rote Punkte, er rang mit einem verzweifelten Keuchen um Atem. Er war ganz sicher, dass er sich das Rückgrat gebrochen hatte und dazu wahrscheinlich alle Rippen und das Steißbein! Bodenstein brach der kalte Schweiß aus, er brachte kein Wort über die Lippen, als sich besorgte Gesichter über ihn beugten.
»Schnell!«, rief jemand. »Der Mann muss in die Notaufnahme!«
»Gut, dass das im Krankenhaus passiert ist.«
»Holt einen Arzt!«
»Nein, nein«, murmelte Bodenstein, benommen vor Schmerzen, »schon gut, es ist nichts.«
Zwei Sanitäter und ein Arzt näherten sich im Laufschritt, der Kreis der Neugierigen wurde größer. Der wahnsinnige Schmerz ebbte allmählich ab, und zurück blieb eine rotglühende, grauenvolle Scham. Welcher Teufel hatte ihn geritten, die Frau so unprofessionell in die Zange zu nehmen? Bodenstein bemühte sich mit einem unterdrückten Stöhnen, wieder auf die Beine zu kommen, und schleppte sich hinaus zu seinem Auto. Später einmal, in ein paar Wochen oder Monaten, würde er vielleicht über diese erniedrigende Szene lachen können, aber jetzt war ihm nicht unbedingt danach zumute. Mit geschlossenen Augen blieb er in seinem Auto sitzen. Seine Theorie, dass die Tierarzthelferin Isabel gefolgt war, diese überwältigt, zu Tode gespritzt und danach in stockdunkler Nacht auf den Aussichtsturm geschleift hatte, um sie in die Tiefe zu stoßen, war wahrhaftig völlig an den Haaren herbeigezogen. Bodenstein konnte nur hoffen, dass niemand von seinen Leuten von diesem peinlichen Auftritt Wind bekam. Es klopfte an der Scheibe seines Autos, und er fuhr erschrocken zusammen, als er Sylvia Wagner erkannte. Dann aber ließ er die Zündung an und die Scheibe herunter.
»Ich wollte mich entschuldigen«, sagte die junge Frau zerknirscht. »Es . ich . es tut mir schrecklich leid, aber .«
»O Gott«, Bodenstein schüttelte den Kopf. »Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen! Ich weiß auch nicht, was mit mir los war.«
Sylvia biss sich auf die Lippen, aber dann platzte sie heraus und lachte prustend. Bodenstein warf ihr einen gekränktenBlick zu, doch als er das Groteske der Situation begriff, lachte er mit.
»Entschuldigung«, Sylvia Wagner wischte sich die Lachtränen aus den Augen. »Es sah nur so komisch aus!«
»Schon gut. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.«
»Sie haben mich doch wohl nicht ernsthaft verdächtigt?«, fragte die junge Frau, wieder halbwegs beherrscht.
»Doch, leider. Für einen Moment schien es mir absolut plausibel.«
»Es stimmt zwar, dass ich Micha sehr gern mag, aber ich bin nicht in ihn verliebt. Ich habe einen Mann und zwei kleine Kinder. Micha ist einfach nur ein großartiger Tierarzt und ein sehr
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