Eine unbeliebte Frau
Liederbach. Pia stellte ihr Auto auf dem sauber gepflasterten Parkplatz ab und stieg aus. Mehrere Autos parkten hier, auf der anderen Seite waren Pferdeanhänger ordentlich in Reih und Glied abgestellt. Pia blickte sich interessiert um. Sie war vor vielen Jahren einmal in diesem Stall gewesen, um eine Freundin zu besuchen, die dort ihr Pferd untergebracht hatte, aber da hatte es noch ganz anders ausgesehen. Von meterhoch wucherndem Unkraut, matschigen Wegen und den Bergen von Pferdemist früherer Zeiten war nichts mehr zu sehen. Jemand hatte hier ganz offensichtlich eine Menge Geld und Mühe investiert und aus dem heruntergekommenen Bauernhof eine wirklich schöne Reitanlage gemacht. Es gab gepflegte Rasenflächen mit Blumenrabatten und Rhododendren, einen großen Springplatz mit bunten Hindernissen und ein Dressurviereck. Der lange Stall hatte Außenfenster erhalten, aus denen die Pferde neugierig ihre Köpfe herausstreckten. Pia schlenderte über den Parkplatz und begegnete einem sonnengebräunten jungen Mann mit kahlrasiertem Schädel, der eine Schubkarre mit Heu vor sich her schob. Er trug eine hautenge Jeans undein grünes Polohemd mit der goldfarbenen Aufschrift »Gut Waldhof«, unter dem sich durchtrainierte Muskelpakete abzeichneten. Der allgemein verbesserte Zustand des Hofes hatte wohl auch Auswirkungen auf das Aussehen des Personals, dachte Pia belustigt.
»Hallo«, sprach sie den jungen Mann an, »können Sie mir sagen, wer hier der Chef ist und wo ich ihn finde?«
Er musterte Pia von Kopf bis Fuß mit neugierigem Interesse, ohne die Schubkarre abzustellen.
»Chef ist Kampmann. Er oben in Haus«, sagte er mit einem starken ausländischen Akzent, »alles klar, ja?«
»Alles klar«, Pia lächelte, »danke für die Auskunft.«
Das Wohnhaus entpuppte sich als der gleiche phantasielose Flachbau wie früher, allerdings hatte man einige Anstrengungen unternommen, das gesichtslose Nullachtfünfzehn-Haus aufzupeppen. Es gab zum Hof hin einen großzügigen Wintergarten, in dem zwischen Topfpalmen und Zitronenbäumchen gemütlich wirkende Lederstühle um einen wuchtigen Holztisch gruppiert standen. Das Haus hatte einen frischen, sonnengelben Anstrich erhalten, wie sämtliche Gebäude auf der Anlage. Dem Wohnhaus gegenüber befand sich ein weiterer, neuer Stalltrakt, und an einer Anbindestange dösten zwei Pferde mit vor Nässe glänzendem Fell. Die dazugehörigen Reiterinnen, beide etwa um die vierzig, saßen im Wintergarten, dessen Türen weit geöffnet waren. Sie tranken Sekt aus Pappbechern und warteten wohl darauf, dass die heiße Augustsonne das Fell ihrer Pferde trocknete.
Pia nickte ihnen zu und ging zum Haus, vor dem ein silberner Porsche Cayenne parkte. Gerade als sie auf die Klingel drücken wollte, wurde die Haustür geöffnet. Ein dunkelblonder Mann in Jeans und einem kurzärmeligen leuchtendblauen Hemd kam heraus, gefolgt von einer wasserstoffblonden Frau mit allzu dunkler Solarienbräune und zwei mürrischenTeenagern in Schlabberhosen und Turnschuhen, die grußlos an Pia vorbei zum Auto trotteten. Der Mann, ungefähr Mitte bis Ende vierzig, musste früher einmal recht gut ausgesehen haben, aber sein gerötetes Gesicht, das auf zu viel Alkoholgenuss und die Vorliebe für üppiges Essen schließen ließ, wirkte verlebt und aufgedunsen. Die Frau war mindestens zehn Jahre jünger als er und sah aus wie jemand, der mit Gewalt noch jünger wirken will. Das hochgesteckte Haar war zu blond, um echt zu sein. Sie trug eine hautenge beigefarbene Hose und einen ebenso engen türkisfarbenen Pullover mit einem unglaublich tiefen Ausschnitt. Dazu war sie von Kopf bis Fuß mit Schmuck behängt.
»Guten Tag«, sagte Pia, »sind Sie Herr Kampmann?«
»Ja, der bin ich«, antwortete der Mann abweisend und blieb stehen. Pia bemerkte ein Pflaster über seiner rechten Augenbraue und einen ziemlich frisch aussehenden Bluterguss, der sich bis unter das Auge zog.
»Mein Name ist Kirchhoff«, sie zückte ihren Ausweis, »Kriminalpolizei Hofheim. Ich habe ein paar Fragen an Sie.«
»Wir wollen gerade wegfahren«, der Reitlehrer warf einen Blick auf seine Armbanduhr, um zu demonstrieren, dass er weder Zeit noch Lust hatte, sich länger als unbedingt notwendig aufhalten zu lassen. »Heute ist mein freier Tag.«
»Es dauert auch nicht lange«, versicherte Pia.
»Natürlich haben wir Zeit, ein paar Fragen zu beantworten«, mischte sich die blonde Frau ein und lächelte freundlich, um das unhöfliche Verhalten ihres Mannes
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