Eine unbeliebte Frau
was passiert ist. Ich bin ganz erschüttert.«
Pia betrachtete den Mann, der ihr vage bekannt vorkam. Er hatte schütteres, graues Haar und trug ein rosafarbenes Ralph-Lauren-Hemd unter einem hellen Leinenanzug.
»Kampmann sagte, Isabel wurde ermordet«, Jagoda zeigte angemessene Betroffenheit über den gewaltsamen Tod einer entfernt bekannten Person.
»Im Moment gehen wir davon aus, ja«, bestätigte Pia und überlegte, wo sie den Namen Jagoda schon einmal gehört hatte. Dann fiel es ihr ein. Hans Peter Jagoda. JagoPharm. Vor ein paar Jahren war er mit seiner Firma einer der großen Stars am Neuen Markt gewesen.
»Sie haben hier eine sehr schöne Reitanlage«, Pia lächelte. »Wie viele Pferde stehen hier?«
Jagoda schien für einen Moment irritiert über den Themenwechsel.
»Ungefähr siebzig«, antwortete er. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Gerne«, Pia nickte und schlenderte an Jagodas Seite hoch zum Wintergarten, in dem ein Automat leise summend eisgekühlte Getränke für die durstigen Reiter bereithielt.
»Als meine Frau und ich den Hof vor sieben Jahren gekaufthaben«, Jagoda öffnete den Getränkeautomaten an der Seite, »war es kaum mehr als ein heruntergekommener Bauernhof. Wir haben viel Geld investiert, aber jetzt ist Gut Waldhof eine der schönsten Reitanlagen im ganzen Rhein-Main-Gebiet. Was möchten Sie trinken?«
»Eine Cola light wäre prima. Reiten Sie selbst auch?«
»Früher bin ich hin und wieder geritten. Jetzt lässt mir die Arbeit keine Zeit mehr. Die Reitanlage ist eigentlich mehr das Steckenpferd meiner Frau.«
Pia warf einen Blick auf das Schwarze Brett, das am Eingang des Wintergartens hing. Pläne für die Koppelbelegung, ein Werbezettel eines Reitsportausstatters, die Ankündigung, dass der Deckenreinigungsservice am nächsten Donnerstag kommen würde.
»Was können Sie mir über Isabel Kerstner sagen?«, fragte sie.
Jagoda überlegte einen Moment.
»Sie war eine der schönsten Frauen, die ich jemals gesehen habe«, sagte er. »Zweifellos hätte sie das Zeug zu einem Fotomodell oder einem Filmstar gehabt. Ich habe mich immer gefragt, wie sie dazu kam, einen Tierarzt zu heiraten.«
Er sagte das ohne Herablassung oder gar Spott.
»Sie besaß ein sehr gutes Pferd und war eine begabte Reiterin. Als sie damals hier einzog, sorgte das für eine beträchtliche Unruhe. Ich wage zu behaupten, dass sie allein durch ihr Aussehen den wenigen Männern, die es hier im Stall gibt, den Kopf verdreht hat.«
»Ihnen auch?« Pia musterte ihr Gegenüber aufmerksam.
»O nein, ich bin glücklich verheiratet«, entgegnete Jagoda und lachte, als habe sie einen guten Witz gemacht.
»Auch andere glücklich verheiratete Männer riskieren Seitensprünge mit schönen Frauen.«
Jagoda schüttelte nachdrücklich den Kopf.
»Ich habe eine Frau, die ich sehr liebe. Um eines flüchtigen Abenteuers willen würde ich meine Ehe niemals aufs Spiel setzen. Und mehr als ein flüchtiges Abenteuer wäre Isabel auf gar keinen Fall gewesen.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
Hans Peter Jagoda sah sie durchdringend an, dann trank er sein Mineralwasser leer und stellte die leere Flasche in einen Kasten neben dem Automaten.
»Isabel Kerstner war ein Flittchen«, sagte er, »mehr nicht.«
Eine große Überraschung für Bodenstein und seine Mitarbeiter war der Anwalt von Kerstner. Dr. Florian Clasing war einer der erfolgreichsten und bekanntesten Strafverteidiger Frankfurts, wenn nicht sogar ganz Deutschlands. Er hatte spektakuläre und vollkommen aussichtslose Fälle gewonnen und gehörte bei den Ermittlungsbehörden zu den meistgefürchteten Anwälten überhaupt. Mitte vierzig, clever, gerissen, aggressiv und sehr unkonventionell, waren Indizienprozesse, in denen der Beschuldigte eigentlich keine Chance mehr hatte, seine Spezialität. Erstaunlich war nicht nur, dass es Kerstner gelungen war, diesen vielbeschäftigten Mann innerhalb weniger Stunden auf das Hofheimer Kommissariat zu lotsen, viel erstaunlicher war noch, dass sich Clasing entgegen seiner sonstigen Gewohnheit ungewöhnlich zahm verhalten hatte.
Keine großen Worte, keine Drohungen mit der Presse -nichts. Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte er akzeptiert, dass der Haftrichter eine Kaution abgelehnt hatte.
»Da muss doch irgendetwas faul sein«, bemerkte Pia, als Bodenstein nun davon erzählte.
»Ich bin der Meinung«, entgegnete Bodenstein, »dass Kerstner irgendjemanden deckt. Warum, das weiß ich nicht. Wir müssen so
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