Eine unbeliebte Frau
Ihnen alles über Isabel, was Sie wissen möchten.«
Dr. Michael Kerstner stand neben dem Schimmelwallach und begutachtete die Stelle an der Brust, an der er das Pferd am vergangenen Samstag mit sechzig Stichen genäht hatte.
»Und?«, fragte Anna Lena Döring besorgt.
»Sieht ganz gut aus«, erwiderte Kerstner, »es hat sich nicht entzündet. Wenn wir Glück haben, beeinträchtigt es später nicht einmal die Bewegung.«
Anna Lena Döring streichelte das Pferd, das alles gleichmütig mit sich geschehen ließ. In dem Moment ging das Hoftor auf. Kerstner und Anna Lena Döring fuhren herum.
»Micha!«, über Georg Rittendorfs angespanntes Gesicht flog ein Ausdruck der Erleichterung. »Gott sei Dank, du bist wieder da! Mensch, das tut mir alles so leid.«
Rittendorf umarmte seinen Freund kurz und heftig.
»Ich habe es überlebt«, sagte Kerstner rau. Anna Lena Döring räusperte sich, und erst jetzt schien es Rittendorf bewusst zu werden, dass sie nicht alleine waren.
»Anna!«, sagte er entsetzt. »Wie siehst du denn aus?«
»Das war Friedhelm«, sie verzog das Gesicht. »Am Samstag.«
»Dieses Schwein!«, Rittendorf schüttelte den Kopf. »Du solltest ihn wirklich anzeigen.«
»Das bringt doch nichts«, Anna Lena Döring streichelte die Nase ihres Pferdes.
»Aber das kann doch nicht so weitergehen! Was sagt Flori dazu?«
»Er sagt mir seit Jahren, dass ich mich von Friedhelm trennensoll«, sie stieß einen Seufzer aus, »und jetzt tue ich das auch. Friedhelm weiß nicht, wo ich bin.«
»Was weiß die Polizei denn bis jetzt?«, wandte Rittendorf sich an seinen Freund.
»Keine Ahnung«, Kerstner zuckte die Schultern. »Ist mir auch egal. Ich war kein bisschen schockiert, als sie mir sagten, dass sie tot ist.«
»Kann ich verstehen«, Rittendorf stieß den Rauch seiner Zigarette heftig aus. »Für all das, was sie dir und anderen angetan hat, hat sie es verdient.«
Mit plötzlicher Verbitterung ballte er die Fäuste.
»Ich habe sie noch nie leiden können, auch wenn sie Valentins Schwester war.«
»Ich weiß«, Kerstner nickte niedergeschlagen, »es war wahrhaftig ein Alptraum, aber er ist noch nicht vorbei.«
»Wie meinst du das? Isabel ist tot und du bist frei.«
»Ich weiß aber nicht, was sie mit Marie gemacht hat!« Kerstner fuhr herum, die Tränen brannten in seinen Augen. »Sie war am Samstag hier, weil sie wollte, dass ich in eine schnelle Scheidung einwillige. Allerdings unter der Bedingung, dass ich auf das Sorgerecht für Marie verzichte. Sie sagte, Marie sei schon im Ausland, und wenn ich nicht auf der Stelle unterschreibe, würde ich sie niemals wiedersehen!«
Georg Rittendorf starrte seinen Freund ungläubig an.
»Ich habe ihr gesagt, sie solle Marie mir geben, aber da hat sie mich ausgelacht und gesagt, ich könnte ja selbst ein Kind machen, wenn ich unbedingt eins haben wollte«, Kerstners Stimme klang nur mühsam beherrscht. »Jetzt ist sie tot, und ich werde niemals erfahren, wo Marie ist und wie es ihr geht!«
Anna Lena Döring ergriff Kerstners Hand.
»Man kann sicher herausfinden, was sie mit Marie gemachthat«, sagte sie. »Sie muss ja irgendwo sein. Es muss jemanden geben, der ihr geholfen hat, Marie wegzubringen, jemanden, der ...«
Sie brach ab und erstarrte.
»Was hast du?«, fragte Michael Kerstner rau.
»Ich muss zurück zu Friedhelm«, sagte Anna Lena tonlos.
»Bist du verrückt?« Kerstner ergriff ihren Arm. »Er hat dich beinahe totgeschlagen!«
»Es muss Friedhelm gewesen sein, der Isabel geholfen hat, Marie außer Landes zu bringen!«, erwiderte Anna Lena und blickte ihn an. »Er weiß, wie man so etwas organisiert.«
»Nein, nein«, Kerstner schüttelte den Kopf in plötzlicher Ernüchterung, »das ist völlig verrückt. Du wirst nicht zu ihm zurückgehen, nur weil du mir helfen willst. Das kommt nicht in Frage. Ich werde mit der Polizei darüber sprechen.«
»Die Polizei?« Anna Lena Döring schnaubte verächtlich. »Was soll die denn machen? Weißt du, was ein Menschenhändler ist? Glaubst du, Friedhelm lässt seine LKW und Container nur mit argentinischem Rindfleisch und Computern durch die halbe Welt fahren? Er glaubt, ich kriege so etwas nicht mit, aber ich weiß eine ganze Menge. Für solche Leute ist es eine Kleinigkeit, ein fünfjähriges Kind irgendwohin zu schaffen.«
»Ich habe Angst um dich«, Kerstner legte seinen Arm um ihre Schulter. »Es kommt nicht in Frage, dass du dich in Gefahr begibst. Wir werden ein sicheres Versteck für dich
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