Eine unbeliebte Frau
schien in echter Bedrängnis. Pia holte tief Luft, entsicherte ihre Waffe und schob sich an der Wand entlang. Entschlossen betrat sie das große Wohnzimmer. Auf den Anblick, der sichihren verblüfften Augen bot, war sie nicht vorbereitet, und er verschlug ihr die Sprache. Marianne Jagoda war tatsächlich in Bedrängnis, allerdings nicht in der Art und Weise, wie Pia befürchtet hatte.
Sie und ihr Liebhaber waren so miteinander beschäftigt, dass sie die unfreiwillige Zuschauerin überhaupt nicht bemerkten. Hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, vor lauter Erleichterung einfach laut herauszulachen, und dem Wunsch, auf der Stelle das Haus zu verlassen, gelang es Pia, sich unbemerkt zurückzuziehen. Ganz offensichtlich war Hans Peter Jagoda nicht der Einzige, der in dieser Ehe untreu war. Pia lehnte sich vor der Haustür gegen die Mauer und überlegte, was sie nun tun sollte. Sie steckte den Revolver zurück ins Schulterhalfter und zählte rücksichtsvoll bis hundert, bevor sie auf die Klingel drückte. Es dauerte fünf Minuten, bis die Musik im Haus abbrach und sich Schritte der Haustür näherten. Marianne Jagoda erschien im Türrahmen. Sie wirkte derangiert, erhitzt und atemlos und ganz und gar nicht wie eine Frau, deren Mann unter Mordverdacht in U-Haft sitzt.
»Bitte schön?«, fragte sie und fixierte Pia scharf, bevor sie sie erkannte. »Ach, die Polizei.«
»Guten Tag, Frau Jagoda«, erwiderte Pia. »Ich hoffe, ich störe nicht. Aber ich war gerade in der Gegend und hätte noch ein paar Fragen an Sie.«
»Kommen Sie rein«, Marianne Jagoda machte einen Schritt zur Seite. Der Mann, der sie noch vor fünf Minuten zum lustvollen Kreischen gebracht hatte, hockte auf dem Fußboden und sammelte die Scherben der Blumenvase auf. Erstaunt erkannte Pia den ansehnlichen Pferdepfleger von Gut Waldhof.
»Habe ich Sie nicht schon mal im Stall in Kelkheim gesehen?«, sprach sie den Mann an. Er blickte kurz auf, schwieg aber.
»Karol spricht kein Deutsch«, sagte Marianne Jagoda.»Er hat ein paar Gartenarbeiten für mich erledigt. Gehen Sie schon in die Küche, ich komme sofort.«
Pia akzeptierte diese Lüge widerspruchslos und betrat die Küche, aber sie blieb direkt hinter der Tür stehen und lauschte.
»... noch nicht fertig«, hörte sie Jagodas Frau halblaut sagen, »das hier dauert nicht lange.«
»Ich muss zurück in den Stall«, erwiderte der des Deutschen angeblich Unkundige. »Kampmann wird sauer, wenn ich zu lange wegbleibe.«
»Was interessiert dich Kampmann? Warte oben auf mich, ich komme gleich.«
Pia verstand die Antwort des Polen nicht, aber sie klang nicht gerade begeistert.
»Ich warne dich«, Marianne Jagoda lachte abfällig, »meinst du etwa, ich bezahle dich so gut, weil du so toll Boxen ausmisten kannst?«
Wenig später war sie in der Küche und öffnete den Kühlschrank.
»Wollen Sie auch etwas trinken?«, fragte sie Pia.
»Nein danke«, lehnte Pia höflich ab. Marianne Jagoda zuckte die Schultern, nahm eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und ein Glas aus dem Schrank. Sie trank in langen, durstigen Schlucken.
»Wo ist eigentlich Ihr Sohn?«, erkundigte Pia sich.
»In einem Internat am Bodensee. Er ist nur an den Wochenenden zu Hause«, Marianne Jagoda warf ihr langes, dunkles Haar über die Schulter und setzte sich an den Küchentisch. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich wollte von Ihnen wissen, was Sie an dem Abend gemacht haben, als Isabel Kerstner gestorben ist.«
»Ich war hier. Wir hatten jede Menge Gäste. Wieso fragen Sie das?«
»Reine Routine«, Pia lächelte. »Es wäre ja möglich, dass es eine Herrenrunde war und Sie keine Lust hatten, dabeizusitzen.«
»Es war tatsächlich eine Herrenrunde«, erwiderte Marianne Jagoda. »Geschäftspartner meines Mannes. Aber da ich die Gastgeberin war, war meine Anwesenheit vonnöten.«
»Ihr Mann sagte uns, er habe an diesem Abend vergeblich auf Isabel Kerstner gewartet, die auch eingeladen gewesen sei.«
»Ja, das stimmt«, bestätigte Marianne Jagoda. »Er war ziemlich sauer, weil sie nicht erschien. Sie war ja für Kundenbetreuung zuständig, dafür wurde sie bezahlt.«
Pia blätterte in ihrem Notizbuch. »Wissen Sie, was Isabel genau für ihr Geld getan hat?«
Marianne Jagoda warf ihr einen misstrauischen Blick zu.
»Wie meinen Sie das?«, fragte sie.
»Kundenbetreuung. Wie habe ich das zu verstehen? Hat sie Kaffee serviert, die Kunden vom Flughafen abgeholt, oder .?«
»Was wollen Sie andeuten?« Marianne Jagodas
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