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Eine unbeliebte Frau

Titel: Eine unbeliebte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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des »Limoncello« hinaufstiegen.
    »Ich habe über Ihre Vermutung von gestern nachgedacht«,Bodenstein blieb stehen. »Helfrich und Rittendorf waren genau um die Uhrzeit essen, als Isabel gestorben ist. Von hier bis nach Ruppertshain fährt man abends ungefähr sieben Minuten. Sie hatten also genug Zeit, und sie hatten die nötigen Mittel.«
    »Und was war ihr Motiv?«, wollte Pia wissen.
    »Vielleicht wirklich Rache«, erwiderte Bodenstein. »Rittendorf hasste Isabel sowieso, und auch ihr Bruder hatte nicht viel für sie übrig. Sie hatten sich am Nachmittag getroffen und haben gestritten. Isabel hat ihren Erbteil verlangt. Außerdem hatte sie Kerstner, einen sehr engen Freund, über Jahre hinweg gedemütigt und gequält.«
    »Ich sag's ja«, Pia grinste und folgte ihrem Chef die Stufen hinauf.
     
    Eine halbe Stunde später saßen sie bei Tortelloni alla Nonna und einem Viertel Chianti an einem Tisch in dem halbleeren Nobelrestaurant und wussten, dass die Ehepaare Helfrich und Rittendorf zwischen sieben und zehn Uhr ihren Tisch nur jeweils für wenige Minuten zum Gang auf die Toilette verlassen hatten. Das hatte nicht nur der Inhaber des italienischen Restaurants, sondern unabhängig von ihm auch einer der Kellner bestätigt. Bodenstein hatte Pia ausführlich von seinem Gespräch mit Thordis berichtet und von dem, was sie über Döring gesagt hatte.
    »Es wird immer undurchsichtiger«, Bodenstein kaute nachdenklich seine Nudeln. »Alle haben Alibis, wenn auch wacklige.«
    »Alle, bis auf Reitlehrer Kampmann und seine Frau«, erwiderte Pia.
    »Kampmann«, Bodenstein nickte. »Aber warum sollte der sie umbringen? Sie brachte ihm doch Geld ein.«
    Sie hatten bei ihrer Suche nach dem Mörder so viele Steineumgedreht und so viel Müll zum Vorschein gebracht, dass sie dabei möglicherweise Wesentliches übersehen hatten. Weder Döring noch Jagoda waren die Hauptpersonen in dieser Tragödie, auch wenn sie womöglich etwas damit zu tun hatten, aber keiner der beiden hatte Isabel Kerstner umgebracht. Vor lauter Spuren und Verdächtigungen hatte Bodenstein beinahe vergessen, dass seine Aufgabe darin bestand, den Mord an der jungen Frau aufzuklären. Alles andere, was sie herausbekommen hatten, fiel in die Aufgabenbereiche anderer Dezernate.
    »Vielleicht war es niemand von ihnen selbst«, sagte Pia in dem Moment. »Warten wir doch mal ab, bis wir diesen Teddy gefunden haben. Isabel wurde Döring und Jagoda vielleicht zu gefährlich, und sie ließen sie von einem Handlanger aus dem Weg schaffen. Erst als sie tot war, fiel ihnen ein, dass sie nicht wussten, wo diese Filme waren.«
    »Wenn ich ehrlich bin«, Bodenstein schob den leeren Teller von sich weg und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, »weiß ich überhaupt nichts mehr. Ich habe den roten Faden verloren, wenn es bei dieser ganzen Geschichte überhaupt schon einmal einen gegeben hat.«
    Die Müdigkeit kehrte zurück und lähmte seine Gedanken. Sein Gehirn war wie benebelt, er fühlte sich wie früher in der Schule, wenn er für eine Klausur so viel gepaukt hatte, dass er, wenn er das offene Heft vor sich liegen hatte, für einen panischen Moment gar nichts mehr wusste. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass es nur noch eine Möglichkeit gab, wenn er an diesem Punkt angelangt war: völliges Abschalten. Wenn er Glück hatte, würde sich der Nebel verziehen, und er würde wieder in der Lage sein, einen klaren Gedanken zu fassen.
    »Ich habe letzte Nacht kein Auge zugemacht«, sagte er schließlich und gähnte. »Vielleicht sollte ich mal ein paar Stunden schlafen.«
    Er winkte dem Kellner.
    »Ach«, fiel ihm dann ein, »ich soll Ihnen auch einen Gruß von Ihrem Mann ausrichten.«
    »Danke«, erwiderte sie, »hat sich erledigt. Ich habe ihn ja heute Morgen gesehen.«
    »Ich hatte den Eindruck, er mag Sie noch immer«, bemerkte Bodenstein beiläufig. Trotz seiner Müdigkeit interessierte ihn das Privatleben seiner tüchtigen neuen Kollegin.
    »Dieser Eindruck täuscht Sie nicht«, sagte Pia. »Wir haben uns fürs Wochenende verabredet. Mein Mann möchte mein neues Zuhause begutachten.«
     
    Friedhelm Döring hatte sich nicht die Zeit genommen, nach dem Besuch in der Rechtsmedizin zu duschen. Er hatte sich an seinen Schreibtisch gesetzt und ein paar Telefonate geführt. Die Lage war sehr viel ernster, als er angenommen hatte, und das verdankte er ausgerechnet seiner Frau und Isabel Kerstner! Er schnaubte ärgerlich, als er den Tresor aufschloss, der, hinter einem

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