Eine unerwartete Erbschaft (German Edition)
geachtet.
Ryan saß aufrecht im Ohrensessel und sah aus wie der Studiogast einer Talkshow im Fernsehen, komplett mit Button-Down-Hemd und Bügelfaltenhose. Hubert saß zusammengekrümmt am Couchtisch; er trug eine Jeans und ein T-Shirt, das mit irgendetwas bekleckert war – Bratensoße? Ryan erzählte von der Geschichte der King Street, die er offenbar im Stadtarchiv recherchiert hatte. Als ich das Zimmer betrat, erhoben sich die Männer.
»Sieh mal an, wer da ist«, sagte Ryan und grinste. »Lola, die Liebliche.«
Nette Alliteration. »Ich wusste nicht, dass du schon wartest«, sagte ich. »Entschuldige bitte.«
»Ach, das ist kein Problem«, erwiderte Ryan mit strahlendem Lächeln. »Hugh und ich haben uns toll unterhalten,
oder?« Er drehte sich zu Hubert, der mich gequält ansah. Über die Jahre hatten die Leute schon verschiedenste Abkürzungen gebraucht – »Hugh«, »Bert«, »Big H.« ... Unsere Physiklehrerin in der Highschool hatte ihn »Hube« genannt – so wie Drew letztens. Auf die Verstümmelung seines Namens reagierte er wie ein Stier auf ein rotes Tuch. Zwar ging er nicht direkt zum Angriff über, aber er fühlte sich definitiv gereizt.
»Er heißt Hubert«, versuchte ich, den Schaden zu begrenzen.
»Hm?« Ryan konnte meinem Themenwechsel offenbar nicht folgen.
»Sein Name. Er möchte ›Hubert‹ genannt werden.«
Ryan machte ein erstauntes Gesicht. »Und was habe ich gesagt?«
Hubert räusperte ich. »Sie haben mich ›Hugh‹ genannt.«
»Oh, das tut mir leid. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte.« Er lächelte, doch Hubert schien nicht besänftigt, also versuchte Ryan es erneut. »Irgendwie ist es doch fast dasselbe, oder? Nur die abgekürzte Version.«
»Sicher, Ry. Genau dasselbe.« Huberts Sarkasmus überraschte mich. So kannte ich ihn gar nicht. Tatsächlich klang es eher wie etwas, das ich gesagt hätte. Dann lächelte er. Hätte ich ihn nicht besser gekannt, hätte ich gedacht, die Sache wäre erledigt. Er schob die Hände in die Hosentaschen und sagte: »Und? Wo soll’s denn heute Abend hingehen?«
Ich merkte sehr wohl, dass Hubert sauer war, weil ich nicht mit ihm Hühnchen essen und DVDs gucken würde, aber ... Pech! Wie oft hatte ich schon mal eine Verabredung? Sah er denn nicht ein, dass dies eine große Chance für mich war? Ich wollte gerade auf seine Frage antworten, doch Ryan kam mir zuvor. »Wir wollen erst ins Kino gehen und dann etwas
essen.« Er drehte sich zu mir. »Ich habe im Singha Thai Restaurant reserviert. Ich hoffe, du bist einverstanden.«
»Im Singha Thai ? Perfekt«, versicherte ich. Hubert sah mich überrascht an. Ich wusste, dass er sich an ein früheres Gespräch erinnerte, bei dem ich gesagt hatte, ich würde thailändisches Essen nicht mögen. Das hatte zu dem Zeitpunkt auch gestimmt, aber mit Ryan wollte ich versuchen, aufgeschlossener zu werden. Ich musste wirklich lernen, flexibler zu sein. »Tja, dann sollten wir jetzt besser gehen«, sagte ich und deutete zur Tür. »Tschüs Hubert. Bis morgen.« Ryan verabschiedete sich ebenfalls und folgte mir nach draußen.
Sein Jaguar parkte direkt an der Straße. Beim Anschnallen sah ich noch mal zum Haus und bemerkte, wie Hubert uns durch einen Gardinenspalt hindurch beobachtete. Ich hob die Hand und winkte, aber wahrscheinlich hatte er mich nicht gesehen, denn die Gardinen schlossen sich wieder und Hubert war verschwunden.
19
Während wir für die Kinokarten anstanden, hatte ich ausgiebig Zeit, Ryan zu bewundern. Es war nicht nur sein gutes Aussehen, das ihn so attraktiv machte, es war das ganze Paket. Er hatte die Ausstrahlung eines Mannes, der sich in seiner Haut ganz und gar wohl fühlte. Und was für eine schöne Haut das war! Sie bedeckte einen wunderbar schlanken und durchtrainierten Körper von fast einem Meter neunzig. An der Passform seines Anzugs konnte ich erkennen, dass er muskulös war, aber nicht übertrieben, mit heraustretenden Venen oder so.
Er hatte ein schönes Gesicht, jedoch nicht wie bei einem Ralph-Lauren-Model. Wenn man ihn sah, dachte man nicht sofort: Muss der aber eingebildet sein! Und wenn man es doch tat, nahm man es spätestens nach seinem Lächeln wieder zurück. Er hatte ein wahnsinnig tolles Lächeln, in dem man sich geradezu verlieren konnte. Sein ganzes Gesicht erstrahlte und er bekam diese hübschen Fältchen um die Augenwinkel.
Wir diskutierten kurz das Kinoprogramm und entschieden uns für eine romantische Komödie. Mir fiel auf, dass er sich, wenn
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