Eine unheilvolle Begegnung
schlitterte ein Stück und kam dann abrupt am Straßenrand zum Stehen. Sie lehnte ihren Kopf an ihre Hände, die immer noch krampfhaft das Lenkrad umklammerten. Das war knapp gewesen! War sie so in ihre Gedanken versunken gewesen, dass sie auf die Gegenfahrbahn geraten war? Nein, das konnte nicht sein. Sie war ganz normal auf ihrer Fahrbahn gefahren, als der andere Fahrer abgebogen war und sie geschnitten hatte. Vielleicht hätte sie etwas schneller reagieren müssen, aber ansonsten war ihr kein Fehler anzukreiden. Ihre Aufregung legte sich etwas, dafür überkam sie eine gesunde Wut. Welcher Idiot fuhr derart rücksichtslos im dichten Stadtverkehr? Er oder sie hätte jemanden dabei umbringen können!
Mit immer noch bebenden Fingern umklammerte sie das Lenkrad, gab Gas und fuhr vorsichtig auf die Fahrbahn zurück, aber nicht bevor sie sich vergewissert hatte, dass niemand hinter ihr fuhr. In einem wesentlich langsameren Tempo als gewöhnlich bog sie in ihre Straße ein und bewältigte die letzten zweihundert Meter zu ihrem Haus. In ihrer Einfahrt parkte sie und stieg aus. Ihre Beine schienen nur noch aus Pudding zu bestehen. Sie lehnte sich Halt suchend an den Pick-up und atmete einige Male kräftig durch. Wahrscheinlich musste sie nur etwas essen, damit sie sich wieder besser fühlte. Die Anstrengungen und vor allem die Aufregungen der letzten zwei Tage machten sich langsam auch körperlich bemerkbar. Seufzend kramte sie im Rucksack nach ihrem Schlüsselbund und lehnte sich dabei mit der Schulter an die Haustür.
Lautlos schwang sie ein kleines Stück auf. Sam gewann mit Mühe ihr Gleichgewicht wieder und blickte erstaunt auf ihre Tür. Wieso war sie offen? Hatte sie heute Morgen in ihrer Eile vergessen abzuschließen? Sam ging im Geiste ihre Schritte vom Morgen noch einmal durch. Dann schüttelte sie den Kopf. Nein, sie hatte bestimmt abgeschlossen, das machte sie immer automatisch. Vorsichtig schob sie die Tür etwas weiter auf und blickte hinein. In dem dunklen Flur war nichts zu erkennen. Ein Prickeln startete in ihrem Nacken und wanderte langsam ihr Rückgrat hinunter. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass irgendetwas nicht stimmte. Oder dass ihre Nerven heute nicht die besten waren. Energisch rief sie sich zur Ordnung. Sie würde nie erfahren, was los war, wenn sie nicht endlich den Mut aufbrachte und nachschaute. Wahrscheinlich regte sie sich mal wieder völlig grundlos auf.
Langsam schob Sam ihre Hand durch den Spalt und tastete nach dem Lichtschalter gleich neben der Tür. Scheinbar endlose Sekunden später fand sie ihn und schaltete die Lampe ein. Im hellen Schein des Deckenstrahlers erkannte sie, dass ihr Flur noch chaotischer aussah als sonst. Ihr unbehagliches Gefühl verstärkte sich. Vorsichtig trat sie einige Schritte ins Haus hinein, bereit, jederzeit zu fliehen, wenn sie etwas Verdächtiges bemerkte. In der Türöffnung zum Wohnzimmer blieb sie schlagartig stehen.
»Oh Gott!« Der Lichtschein vom Flur zeigte ihr bereits einen Teil des Chaos, als sie dann das Licht anschaltete, erkannte sie das ganze Ausmaß der Verwüstung. Beinahe alles Bewegliche in dem Zimmer war auf den Boden geworfen worden. Ihre Bücher lagen vor dem Regal, zum Teil verknickt, zerrissen und beschmiert. Kissen und Decken lagen zerfetzt dazwischen. Die Polster ihrer Couch und des Lieblingssessels waren aufgeschlitzt, und die Polsterung quoll heraus. Sämtliche Bilderrahmen waren von den Wänden gefegt worden und lagen nun zerbrochen zwischen all den anderen Gegenständen. Ihre Hand fest vor den Mund gepresst blickte Sam mit großen Augen auf das grauenvolle Durcheinander. Schließlich erwachte sie aus ihrer Erstarrung und trat einen Schritt in den Raum hinein.
Ein Knall ertönte. Sam machte einen Satz zurück in den Flur und flüchtete aus dem Haus. Sie rannte, bis sie atemlos vor der Tür ihrer Nachbarin stand. Mit einem Finger drückte sie auf den Klingelknopf, während sie mit der anderen Hand an die Tür klopfte. »Mrs Pettison? Hier ist Sam Dyson von nebenan. Bitte machen Sie auf!«
Unruhig blickte sie über ihre Schulter. Niemand zu sehen. Keine Männer, die hinter ihr her waren und ihr an den Kragen wollten. Wahrscheinlich war nur etwas umgekippt. In dem Moment, als der Knall ertönte, hatte sie sofort an einen Schuss gedacht und war geflüchtet. Jetzt kam sie sich bereits albern vor. Klar, jemand hatte ihr Haus durchsucht und zu Kleinholz verarbeitet, aber das hieß noch lange nicht, dass sie selbst in Gefahr
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