Eine unheilvolle Begegnung
sämtliche Gedanken, die ihn bei seiner Arbeit behinderten. Das gelang ihm auch größtenteils gut, bis auf die Erinnerung an den Kuss. Hartnäckig wiederholte er sich immer wieder in seinem Kopf, bis Morgan meinte, durchdrehen zu müssen, wenn er Sam nicht sofort wieder berührte. Seine Hände zitterten, und Schweiß rann an seinen Schläfen hinab. Sein Schaft regte sich. Morgans Mundwinkel hoben sich. Wenigstens wusste er jetzt, dass die Wunde an seiner Hüfte keinen bleibenden Schaden hinterlassen hatte.
Sam richtete sich auf. »Was ist so lustig?«
Morgans Kopf schnellte herum. Hitze kroch in seine Wangen. »Äh … nichts.«
»Ach, komm schon. Ich könnte jetzt auch etwas Spaß gebrauchen.«
Morgan schüttelte den Kopf. »Ich habe mich nur gerade über mich selbst amüsiert. Nichts, was dich interessieren würde.« Was natürlich gelogen war. Wenn sie seine Gedanken geahnt hätte, wäre sie wahrscheinlich so schnell wie möglich weggelaufen. Oder sie hätte sich auf ihn geworfen, wenn er das Verlangen in ihrem Blick vorhin richtig gedeutet hatte. Er wusste nicht, was ihm lieber wäre. Wahrscheinlich Ersteres, denn alles andere würde ihre Situation nur noch zusätzlich verkomplizieren. Eine Ablenkung war wohl angebracht. »Bist du mit deiner Seite schon fertig?«
Sam verzog den Mund. »So gut es eben geht. An manchen Stellen schimmert das Blau noch durch. Entweder müssen wir es so hinnehmen oder später noch mal eine Schicht aufsprühen.«
»Okay. Willst du eine Pause machen?«
»Nein, lieber nicht. Ich fürchte, es wird knapp, wenn wir fertig werden wollen, bevor es ganz dunkel ist.«
Morgan nickte. »Dann fang schon mal mit dem Kofferraum an, ich mache dann gleich die Motorhaube.«
Sam salutierte. »Jawohl, Sir!«
Einige Zeit später warf Sam die letzte Dose beiseite und richtete sich stöhnend auf. »So, besser wird’s nicht.«
John blickte sie über die Länge des Autodachs an. »Ich bin hier auch gleich fertig. Den Umständen entsprechend finde ich das Resultat eigentlich ganz ordentlich.« Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Du hast nicht zufällig eine künstlerische Ader?«
Sam blickte ihn erstaunt an. »Wieso?«
»Weil einer von uns versuchen muss, das Nummernschild so zu verändern, dass es nicht sofort auffällt.«
Skeptisch betrachtete Sam das alte, verbeulte Schild mit den verblichenen Zahlen. »Nun ja, schlimmer kann es ja kaum werden. Ich versuche es einfach mal.«
»Das ist die richtige Einstellung. Farbe und Pinsel sind auf dem Rücksitz.«
Sam machte sich sofort an die Arbeit, es wurde nämlich zusehends dunkler, und sie hatten keine anderen Lichtquellen dabei. Die Änderungen waren schnell gemacht: ein F wurde zum E, eine 3 zur 8, eine 7 zum Z. Einer längeren Betrachtung würde es natürlich nicht standhalten, aber fürs Erste musste es reichen. Sie trat einen Schritt zurück, um ihr Werk zu begutachten. Wirklich nicht schlecht, wenn sie das selbst sagen durfte.
John trat neben sie und wischte die farbbespritzten Hände an einem alten Lappen ab, den sie im Kofferraum entdeckt hatten. »Das sieht richtig professionell aus. Du warst früher nicht zufällig Nummernschildmalerin?«
Sam lachte. »Nein. Obwohl ich zugeben muss, dass ich einmal zusammen mit meinem Bruder Rey auf dem Schulhof einen Wagen verziert habe, weil er sich von einem Lehrer ungerecht behandelt fühlte.«
Lächelnd schüttelte John den Kopf. »Und, seid ihr entdeckt worden?«
Sam blickte ihn empört an. »Natürlich nicht!«
»Dann lass uns hoffen, dass es diesmal genauso läuft.«
Sam verging das Lachen. »Was passiert, wenn sie uns trotzdem finden?«
»Dann hoffen wir, dass sie langsamer sind als wir.«
»John …«
Er legte einen Finger auf ihre Lippen. »Pst, nicht jetzt. Wir sollten uns erst noch ein wenig ausruhen, bevor wir losfahren. Auf der Fahrt erzähle ich dir dann, was du wissen willst. Versprochen.«
Zögernd nickte Sam. »Okay. Willst du auch was zu essen? Ich sterbe fast vor Hunger.«
»Eine gute Idee. Seit dem Frühstück heute Morgen habe ich nichts mehr gegessen.«
»Ich auch nicht.« Plötzlich schlug sich Sam die Hand vor den Mund. »Ich habe Cathy ganz vergessen. Sie wollte mich heute Nachmittag aus dem Krankenhaus abholen. Sie ist bestimmt schon ganz außer sich vor Sorge!«
John nickte mitfühlend. »Das kann ich mir vorstellen. Verwandtschaft?«
»Wie? Oh, nein, eine Freundin. Ich habe die letzten Tage bei ihr gewohnt, nachdem mein Haus verwüstet worden war. Ich
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