Eine Unheilvolle Liebe
gefürchtet sein, wenn du schon längst tot und vergessen bist.«
Macon blickte ihm furchtlos in die Augen. »Mein Bruder, der im Kopfrechnen ja so gut ist, hat es bereits festgestellt: Ich bin schon einmal gestorben, du musst dir also etwas Neues einfallen lassen, alter Mann. Allmählich wird es langweilig. Erlaube, dass ich dich hinausbegleite.« Er schnippte mit den Fingern, und ich hörte ein zischendes Geräusch, als sich die Nacht hinter Abraham auftat.
Abraham zögerte, dann sagte er lächelnd: »Mein Alter macht mir langsam zu schaffen. Beinahe hätte ich vergessen, das mitzunehmen, was ich hierhergebracht habe.« Er streckte den Arm aus, und aus einer Felsspalte tauchte ein Gegenstand auf, nur um gleich darauf wieder zu verschwinden und erneut zu erscheinen, diesmal allerdings in Abrahams Hand.
Als ich sah, was es war, stockte mir der Atem.
Das Buch der Monde .
Das Buch, von dem wir geglaubt hatten, es sei in Greenbrier zu Asche verbrannt. Das Buch, das allein schon ein Fluch war.
Macons Miene verdüsterte sich. »Das gehört dir nicht, Großvater«, sagte er und streckte die Hand danach aus.
Das Buch flatterte ein wenig, und die Finsternis, die Abraham umgab, wurde noch schwärzer. Der alte Mann zuckte mit den Schultern und lächelte. Ein reißendes Zischen begleitete ihn, als er verschwand, und mit ihm das Buch, Hunting und Sarafine. Das Geräusch verklang, und die Wellen spülten den Abdruck fort, den Sarafines Körper auf dem sandigen Boden hinterlassen hatte.
Als Lena das Zischen hörte, rannte sie los, und als Abraham nicht mehr zu sehen war, hatte sie die Höhle bereits halb durchquert und war bei Macon angelangt. Sie warf sich so ungestüm an seine Brust, dass er schwankte und beinahe gestürzt wäre, wenn er nicht an einem Felsen Halt gefunden hätte.
»Du bist tot«, murmelte Lena in sein schmutziges, zerrissenes Hemd.
»Nein, Liebes. Ich bin überaus lebendig.« Er hob ihr Kinn an. »Schau mich an. Ich bin immer noch da.«
»Deine Augen. Sie sind grün.« Erschrocken berührte sie sein Gesicht.
»Und dein eines nicht.« Macon streichelte traurig ihre Wange. »Aber beide sind wundervoll. Das grüne wie das goldene.«
Lena schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich habe dich getötet. Ich habe das Buch zu Hilfe genommen und das Buch hat dich getötet.«
»Lila Jane hat mich gerettet, ehe ich in die Anderwelt wechselte«, sagte Macon sanft. »Sie hat mich in das Bogenlicht gesperrt und Ethan hat mich daraus befreit. Es war nicht deine Schuld, Lena. Du konntest nicht wissen, was passieren würde.« Lena fing an zu schluchzen. Er strich über ihre widerspenstigen schwarzen Locken und flüsterte: »Schhh. Jetzt ist alles gut. Es ist vorbei.«
Er log. Ich las es in seinen Augen. Sie waren keine zwei schwarzen Seen mehr, die ihre Geheimnisse nicht preisgaben. Von dem, was Abraham gesagt hatte, hatte ich kein Wort verstanden. Aber eines wusste ich: Was auch immer geschehen war, als Lena sich selbst berufen hatte, es löste unsere Probleme nicht, es bescherte uns nur noch weitere.
Lena riss sich widerstrebend von ihm los. »Onkel Macon, ich hatte doch keine Ahnung. Ich habe nachgedacht über Dunkel und über Licht – darüber, was ich wirklich will. Und immer lief es darauf hinaus, dass ich nirgendwohin gehöre. Wie sich herausgestellt hat, bin ich weder Licht noch Dunkel. Ich bin beides.«
»Das ist gut so, Lena.« Er streckte die Hand nach ihr aus, aber Lena blieb, wo sie war.
»Das ist es eben nicht«, sagte sie stur. »Du hast gesehen, was ich getan habe. Tante Twyla ist tot und Ridley und Larkin …«
Macon blickte Lena an, als sähe er sie zum ersten Mal. »Du hast getan, was du tun musstest. Du hast dich selbst berufen. Du hast nicht deinen vorgesehenen Platz in der Ordnung der Dinge eingenommen. Du hast die Ordnung außer Kraft gesetzt und dir einen neuen Platz geschaffen.«
»Was bedeutet das?«, fragte sie zögernd.
»Das bedeutet, du bist du selbst – machtvoll und einzigartig wie die Weltenschranke, der Ort, der weder Dunkel noch Licht kennt, an dem nur reine Magie herrscht. Aber anders als die Weltenschranke bist du Licht und Dunkel zugleich. Genau wie ich. Und, nach allem was ich heute gesehen habe, wie Ridley.«
»Aber was ist mit dem Mond passiert?« Lena blickte Gramma an, aber es war Amma, die ihr von einem Felsvorsprung aus einiger Entfernung antwortete.
»Du hast ihn in zwei Teile gespalten, Kind. Melchizedek hat recht, die Ordnung der Dinge ist gestört. Was jetzt
Weitere Kostenlose Bücher