Eine Unheilvolle Liebe
Es ist schön, Sie alle kennenzulernen.«
Gerade noch rechtzeitig klopfte Carlton Eaton auf sein Mikrofon. »Okay, Leute, ich denke, jetzt können wir anfangen.«
»Meine Lieben, wir müssen jetzt nach vorne. Gleich rufen sie mich auf.« Tante Mercy bahnte sich mit ihrem Rollstuhl wie ein Panzer den Weg zur Tribüne. »Bis nachher, mein Jungchen. Bin in Windeseile wieder da.«
Die Leute drängten mittlerweile durch alle drei Eingänge in das Zelt. Lacy Beecham und Elsie Wilks, die Gewinnerinnen des Kasserolen- und des Grillwettbewerbs, setzten sich vorne an die Bühne und präsentierten stolz ihre blauen Siegerschleifchen. Grillen war eine wichtige Disziplin, sogar noch wichtiger als der Chili-Wettbewerb, dementsprechend aufgeblasen tat Mrs Wilks jetzt.
Ich beobachtete Amma, die gelassen dastand und diese Frauen keines Blickes würdigte. Doch plötzlich verfinsterte sich ihre Miene und sie äugte misstrauisch in eine Ecke des Zelts.
Link versetzte mir wieder einen Knuff. »Hey, guck mal. Ammas Augen brennen gerade Löcher in die Luft.« Wir folgten Ammas bösen Blicken. Als ich merkte, wen sie so eisig ansah, zuckte ich zusammen.
Lena hatte sich lässig gegen eine Zeltstütze gelehnt und starrte zur Bühne. Ich wusste, dass sie sich aus Kuchenbacken rein gar nichts machte, und fragte mich, was sie hier wollte. Vielleicht Amma die Daumen drücken. Ammas Blick nach zu urteilen, glaubte sie das allerdings ganz und gar nicht.
Amma fixierte Lena und schüttelte fast unmerklich den Kopf.
Lena wich ihrem Blick aus.
Vielleicht suchte sie mich? Nein, wahrscheinlich wollte sie niemanden weniger sehen als mich. Was also wollte sie hier?
Link nahm mich am Arm. »Da ist … sie …«
Lenas Blick war auf die gegenüberliegende Seite des Zelts gerichtet. An einem der Pfeiler lehnte Ridley. Sie trug einen pinkfarbenen Minirock, wickelte gerade einen Lolli aus und verfolgte das Geschehen auf der Bühne, als interessierte es sie brennend, wer gewinnen würde. Aber ich wusste, dass ihr das völlig egal war; das Einzige, was sie wirklich interessierte, war, Ärger zu machen. Und da in dem völlig überfüllten Zelt ungefähr zweihundert Menschen zu viel waren, eignete es sich ganz hervorragend für diesen Zweck.
Carlton Eatons Stimme dröhnte laut. »Test, Test. Könnt ihr mich alle hören? Okay, dann kommen wir jetzt zu den Sahnetorten. Wir haben dieses Jahr ein Kopf-an-Kopf-Rennen, Leute. Ich hatte selbst das Vergnügen, ein paar von den Torten probieren zu dürfen, und ich muss sagen, jede Einzelne davon hat meiner Meinung nach den ersten Preis verdient. Aber ich schätze, heute Abend kann es nur eine Gewinnerin geben. Mal sehen, wer diese Gewinnerin ist.« Carlton fummelte an seinem ersten Umschlag herum und riss ihn umständlich auf. »Den dritten Platz gewonnen hat … Tricia Ashers Vanillesorbet-Torte.« Einen Sekundenbruchteil lang verfinsterte sich Mrs Ashers Blick, dann zwang sie sich zu einem breiten Lächeln.
Ich ließ Ridley nicht aus den Augen. Sie führte etwas im Schilde, so viel war klar, denn sie scherte sich einen Dreck um Torten oder um irgendetwas sonst, was in Gatlin geschah.
Ridley drehte sich um und nickte zum hinteren Teil des Zelts. Ich folgte ihrem Blick.
Der Caster-Boy stand grinsend in der Nähe des Hintereingangs und verfolgte aufmerksam die Preisverleihung. Ridley drehte sich wieder zur Bühne und lutschte genüsslich an ihrem Lolli. Das war nie ein gutes Zeichen.
Lena!
Lena zuckte mit keiner Wimper. Ihre Haare kräuselten sich, obwohl in dem stickigen Zelt die Luft stand. Da war sie wieder, die Caster-Brise. Ich wusste nicht genau, ob es die Hitze war oder die bedrückende Enge oder Ammas grimmiger Gesichtsausdruck, aber ich begann, mir langsam Sorgen zu machen. Was hatten Ridley und John vor? Und was bezweckte Lena? Worauf immer die beiden anderen es anlegten, Lena wollte es wahrscheinlich verhindern.
Dann kapierte ich. Amma war nicht die Einzige, die Blicke austeilte wie ein Spieler ein schlechtes Kartenblatt. Ridley und John versuchten, Ammas Blick niederzuzwingen. War Ridley tatsächlich so dreist, sich mit Amma anzulegen? Konnte jemand so dumm sein?
Wie als Antwort hielt Ridley ihren Lolli hoch.
»Shit«, sagte Link mit schreckgeweiteten Augen. »Wir sollten besser von hier verschwinden.«
»Warum gehst du nicht mit Liv zum Riesenrad?«, schlug ich vor und versuchte, Links Aufmerksamkeit von Ridley weg und auf mich zu lenken. »Ich glaube, es wird hier demnächst ziemlich ätzend
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