Eine Unheilvolle Liebe
erstickten Schrei aus, ehe er sich auflöste und vom Nachthimmel aufgesaugt wurde.
Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn ich mit dem Vex verschwunden wäre, denn ein Blick in Ammas Augen reichte, um mir klarzumachen, dass sie uns nur gerettet hatte, damit sie uns anschließend selbst umbringen konnte. Gegen den Vex hätten unsere Chancen wohl besser gestanden.
Nachdem Amma sich von den Ahnen verabschiedet hatte, drehte sie sich wutschnaubend um. Mit zusammengekniffenen Augen konzentrierte sie sich auf ihre beiden Hauptziele: auf Link und mich.
»V.E.R.D.R.U.S.S.« Sie packte uns gleichzeitig am Kragen, als wollte sie uns mit einem einzigen Griff über die Türschwelle befördern. »Sprich: nichts als Plage, Ärgernis und Scherereien. Muss ich noch mehr sagen?«
Link und ich schüttelten den Kopf.
»Ethan Lawson Wate. Wesley Jefferson Lincoln. Ich möchte wissen, was ihr beide hier unten zu suchen habt.« Sie drohte uns mit ihrem knochigen Finger. »Ihr habt nicht einen Funken Verstand in eurem Hirn, glaubt aber, es mit den Dunklen Mächten aufnehmen zu können.«
Link machte den Fehler, ihr erklären zu wollen, dass alles ganz anders war. »Wir wollten es nicht mit den Dunklen Mächten aufnehmen, Ma’am. Ehrlich. Wir wollten nur …«
Ammas Finger war jetzt ganz dicht vor Links Auge. »Erzähl mir nichts. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du dir wünschen, ich hätte deiner Mutter verraten, was du in meinem Keller getrieben hast, als du neun Jahre alt warst.« Link wich vor Amma zurück, bis er mit dem Rücken an der Wand stand, direkt neben dem Tunnelzugang. Aber Amma ging bei jedem Schritt mit. »Schlimm, dass ich so etwas erleben muss.«
Dann knöpfte sie sich Liv vor. »Und du willst eine Hüterin werden, hast aber genauso wenig Grips wie die zwei. Obwohl du es eigentlich besser wissen müsstest, lässt du dich mit den beiden auf solche gefährlichen Abenteuer ein. Warte nur, was Marian dazu zu sagen hat, Mädchen.« Bei diesen Worten schrumpfte Liv zusammen.
Amma baute sich vor mir auf. »Und nun zu dir.« Sie war so wütend, dass sie ihre Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorstieß. »Denkst du, ich wüsste nicht, was du vorhast? Denkst du, du könntest mich zum Narren halten, weil ich eine alte Frau bin? Junge, wenn du mir einen Bären aufbinden willst, musst du früher aufstehen. Als ich von Marian erfahren habe, dass ihr hier unten seid, habe ich euch sofort ausfindig gemacht.« Ich wollte gar nicht wissen, wie sie das geschafft hatte. Egal ob sie Hühnerknochen oder Tarotkarten oder die Ahnen befragte, sie fand immer Mittel und Wege. Amma war den Übernatürlichen so ähnlich, wie man es als gewöhnlicher Mensch nur sein konnte.
Ich vermied es, sie anzusehen. Bei einem bissigen Hund machte man es genauso. Nicht in die Augen blicken, auf den Boden schauen und den Mund halten. Neben mir stand Liv. Sie war ziemlich eingeschüchtert. Natürlich hatte sie nicht damit gerechnet, einem Vex in die Quere zu kommen, aber verglichen mit ihm war Amma der härtere Brocken.
Amma murmelte etwas vor sich hin, vielleicht sprach sie auch mit den Ahnen. Dann sagte sie laut: »Glaubst du, du bist der Einzige, der hinter die Dinge schauen kann? Man muss kein Caster sein, um zu wissen, was ihr Dummköpfe im Schilde führt.« Ich hörte, wie die Knochen an der Perlenschnur klapperten. »Nicht umsonst nennt man mich eine Seherin. Ich merke es sofort, wenn du wieder mal mitten in einem Schlamassel steckst.« Noch immer kopfschüttelnd, stieg sie über die Türschwelle. Kein Stäubchen lag auf ihren Ärmeln, kein Knitterfältchen verunzierte ihr Kleid.
Was auf dem Weg nach unten eng wie ein Kaninchengang gewesen war, hatte sich nun zu einer breiten Treppe geweitet, vermutlich aus Respekt vor Amma, gewundert hätte es mich jedenfalls nicht.
»Es mit einem Vex aufzunehmen«, stieß sie grimmig aus und schnaufte bei jedem Schritt. »Als ob ein Tag mit diesem Jungen nicht auch so schon Ärger genug wäre …«
Und so ging es in einer Tour weiter, bis Amma Liv ablieferte. Link und ich gingen einfach weiter. Wir wollten diesem Finger und den Perlen keinesfalls zu nahe kommen.
Enthüllungen
16.6.
Die Sonne ging schon fast auf, als ich endlich in mein Bett kroch. Später würde Amma mir weiter die Hölle heißmachen, aber ich hatte das Gefühl, dass mich Marian ohnehin nicht pünktlich zur Arbeit erwartete. Vor Amma hatte selbst sie Respekt. Ich schleuderte die Schuhe von mir und war eingeschlafen, kaum
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