Eine unzüchtige Lady
das. Bitte nicht.
Würde er sie tatsächlich in ihrem eigenen Haus vergewaltigen? In dem warmen, kleinen Raum, den sie als Refugium für ihren morgendlichen Tee und ihre Überlegungen nutzte, während sie die Tagespost durchging?
Nein.
Plötzlich hörte sie ein krachendes Geräusch. Franklin stöhnte. Dann sackte er zusammen, sein Gewicht begrub sie unter sich, und sein Kopf kippte haltlos zur Seite. Zu ihrer Überraschung fühlte Caroline sich in Wasser und Rosenblüten gebadet.
Annabel Reids Gesicht verschwamm vor ihren Augen. Besorgt und grimmig zugleich beugte sie sich über sie. In ihren Augen glomm mörderische Wut. »Entschuldigt die Unordnung, aber ich hoffe wirklich, ich habe ihn umgebracht«, bemerkte sie lapidar.
Annabel fühlte kein Bedauern, als sie auf den Mann herabblickte, der zu Boden sank, als Caroline Wynn sich unter seinem Gewicht freikämpfte und ihn beiseiteschob. Die andere Frau setzte sich zitternd auf. Der Gedanke, dass Annabel ihren spontanen Besuch ursprünglich hatte überdenken wollen, da es ihr zu dieser frühen Stunde unangemessen schien, sich bei Caroline melden zu lassen, ließ sie erschaudern. Aber sie hatte sich bei jemandem bedanken wollen; bei einer Frau, die für sie eine neue Freundin war. Und sie wollte Caroline die Neuigkeit mitteilen, dass ihre Eheschließung bevorstand.
Während sie die Scherben und die Wassertropfen auf dem Teppich mit Blumenmuster sowie das Blut, das aus der Schnittwunde am Kopf des Mannes tropfte, betrachtete, überlegte sie, dass ihr Eingreifen bei dieser entsetzlichen Attacke und der Schlag gegen den Angreifer als Akt der Freundschaft gewertet werden konnte.
Vielleicht hatte sie damit ihren Dank auf durchaus tatkräftige Weise bekundet.
Lady Wynn war gespenstisch blass. Ihr hübsches Gesicht hatte sich in eine geisterhafte Maske verwandelt. Einzelne Strähnen ihres Haars klebten an ihrem schlanken Hals, und das Kleid hing feucht an ihrem Körper. Das alles verdankte sie allein dem ungestümen Impuls Annabels, mit dem sie die handliche Vase mit viel Schwung auf dem Kopf des Bösewichts zerschmettert hatte.
»Seid Ihr in Ordnung?« Annabel zog ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und reichte es Caroline. Das Rechteck aus Spitze würde kaum ausreichen, die Lady zu trocknen, aber es war besser als nichts.
»Mylady!« Der ältliche Butler, der Annabel die Tür geöffnet hatte, stand fassungslos in der Tür. »Seine Lordschaft, dieser abscheuliche Schuft … Lieber Himmel. Ich hätte ihn nie zu Euch gelassen, wenn ich gewusst hätte …«
»Das ist wohl kaum Ihr Fehler, Norman.« Caroline zitterte und bewegte sich, um auf einem weniger durchnässten Fleck auf dem Sofa Platz zu nehmen, der zudem weiter von Franklins Gestalt entfernt war, die mit dem Gesicht nach unten am Boden lag. Sie betupfte ihr Gesicht mit Annabels Tüchlein. Es war schwer zu sagen, ob die Nässe von ihren Tränen herrührte oder vom Wasser, das eigentlich die Rosen frischhalten sollte. Sie blickte Annabel mit feucht schimmernden Augen an. »Danke.«
»Nichts zu danken.«
Lady Wynn murmelte: »Nein, ich meine wirklich: Danke .«
Ja, das waren tatsächlich Tränen. Nicht, dass Annabel es ihr verdenken konnte. Sie hätte unter ähnlichen Umständen eimerweise Tränen vergossen. Sie sank neben ihr aufs Sofa und ignorierte den nassen Bezug. Sie nahm die zitternde Hand der anderen Frau. »Natürlich musste ich helfen. Ich sagte Eurem Butler gerade meinen Namen, als ich Euch schreien hörte. Unter normalen Umständen würde ich nie zu dieser frühen Stunde vorsprechen, aber jetzt bin ich froh, dass ich es getan habe.«
»Das war ein klug gewählter Zeitpunkt.« Die andere Frau lächelte schwach.
»Ich vermute, das lässt sich kaum leugnen. Als ich seine Absichten erkannte, war es zu spät, um Hilfe zu holen.«
Sie betrachteten den Mann, der auf dem Boden lag, als wäre er ein widerliches Stück Dreck.
»Ich vermute«, sagte Annabel sachlich, »wir werden irgendwas mit ihm tun müssen.«
»Das vermute ich auch.« Caroline gab ein schwaches Lachen von sich. »Darf ich noch einmal erwähnen, wie froh ich bin, dass Ihr zur rechten Zeit kamt?«
»Ich kann es mir nur vorstellen.«
Ein Schaudern erfasste Lady Wynns schmale Schultern. Sie
schien erst jetzt zu bemerken, dass ihre Röcke in Unordnung geraten waren und ordnete sie züchtig.
»Mylady, was soll ich jetzt tun?« Der Butler schien mehr als bloß verärgert darüber zu sein, was beinahe seiner Herrin widerfahren wäre. »Es
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