Eine unzüchtige Lady
Schluss gekommen war, dass er sich von dieser Verwundung nicht wieder erholen würde, musste er sich noch immer der Realität stellen.
Er hob eine Braue und betrachtete die schelmisch grinsende Gestalt, auf deren kleinem Kopf ein Kranz aus Lorbeer prangte.
»Du wünschst mich zu sprechen?« Seine Mutter betrat den Raum mit fragender Miene. Wie immer war sie hübsch anzusehen mit dem Kleid aus rosenfarbener Seide und dem dunklen Haar, das perfekt frisiert war. Alles an ihr war perfekt. Diamanten glitzerten an ihrem Hals und ihren Handgelenken.
Er verneigte sich. »Mutter. Ich schätze es sehr, dass du mir zuhörst.«
Ihre Brauen hoben sich. »Das klingt schrecklich formell, Nicholas. Wie auch schon deine Nachricht. Warum hast du einen Lakaien geschickt, wenn du doch jederzeit selbst hinaufkommen und mich sehen kannst? Liebling, macht es dir etwas aus, mich aufzuklären? Du warst etwas befremdlich, seit du von deiner Reise zurückgekehrt bist.«
Sobald er das hier getan hatte - sobald er es ihr erzählt hatte -, wäre es offiziell, und der Gedanke machte ihn unruhig. Sie hatte recht; er wanderte umher wie ein Idiot. Bestimmt lag es daran, dass er zuletzt wenig anderes zustande bekam, außer über die Situation zu brüten. Er räusperte sich und wappnete sich, um es ihr einfach zu sagen. Stattdessen murmelte er: »Ich brauche einen Brandy. Möchtest du auch etwas?«
»Brauche ich das denn?« Sie sank auf ein naturfarbenes Satinsofa
und blickte zu ihm auf. »Ich muss schon sagen, dein ernster Gesichtsausdruck beunruhigt mich.«
»Versetz dich mal in meine Lage«, erwiderte er finster. Er schüttete Brandy in ein Glas, nahm einen ordentlichen Schluck und stellte den Alkohol beiseite. Es war das Beste, die Wahrheit zu sagen.
Er drehte sich um und erwiderte den Blick seiner Mutter. »Ich habe etwas von großer Wichtigkeit zu verkünden. Ich habe gedacht, es sei das Beste, wenn wir allein sind, und diese Räumlichkeit«, er machte eine weit ausholende Geste, mit der er den eleganten Salon einschloss, »schien mir diesem Augenblick angemessen.«
Sie legte ihre Hände in den Schoß. Ihre dunklen Brauen schossen nach oben. »Du kannst dir meine Neugier vorstellen. Worum geht es?«
»Ich … also gut … Ich erwäge eine Heirat.«
Ihre Augen weiteten sich. Nach einem längeren Schweigen sagte sie: »Ich verstehe. Offensichtlich habe ich zuletzt in den falschen Kreisen verkehrt. Mir war nicht bewusst, dass du um jemanden geworben hast. Ich bin mir sicher, man hätte mir davon erzählt, wenn es so wäre. Die gute Gesellschaft passt sehr genau auf jede einzelne deiner Bewegungen auf.«
»Meine Reputation erfordert Diskretion. Sie ist nicht daran interessiert, öffentlich mit mir in Verbindung gebracht zu werden.«
Seine Mutter reagierte gereizt auf diese Äußerung. Ihre dunklen Augen blitzten, und ihre Stimme klang frostig. »Das letzte Mal, als ich es überprüft habe, schien die Stellung als Duchess of Rothay eine der begehrtesten in ganz England zu sein.«
Die mütterliche Abwehrhaltung ließ ihn ironisch lächeln. »Der Beginn unserer Beziehung passt kaum zu den Absichten, die ich nun hege. Lass es mich anders formulieren. Die Lady hat
einen makellosen Ruf, und meiner ist genau das Gegenteil. Ich weiß, du bist dir dessen bewusst. Man bezeichnet mich als Wüstling, und zum Teil verdiene ich diese Bezeichnung wohl.«
Es herrschte kurz Stille, und dann seufzte seine Mutter. »Ich werde dich nicht tadeln, obwohl ich nicht immer den Klatsch geglaubt habe, der verbreitet wurde. Attraktive junge Männer mit Titel und Vermögen sind jedoch mehr Verlockungen ausgesetzt als so manch anderer. Vielleicht ist das nur die Entschuldigung einer Mutter, aber ich habe immer einen Großteil der Gerüchte als Übertreibungen begriffen.«
Er verspürte einen Anflug von Erheiterung. »Ich werde einzelne Ereignisse weder bestätigen noch leugnen. Wir werden es dabei belassen, einverstanden? Jedenfalls wollte ich der fraglichen Lady schon bald einen Antrag machen und dir zuvor davon erzählen.«
Dunkle Augen glänzten neugierig. »Ich bin natürlich hoch erfreut. Die Geheimniskrämerei ist aber ein bisschen verwirrend. Jede Familie, die ich kenne, würde einen ehrlichen Heiratsantrag von dir willkommen heißen. Es besteht ein Unterschied, ob und was ein Mann privat tut, wenn er noch Junggeselle ist, und wie er sich verhält, wenn er beschließt, eine Frau zu nehmen. Ich habe beobachtet, wie die Mütter der guten Gesellschaft ihre
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