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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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alles andere wünschte er, seine Mutter wäre nicht in einer derartigen Verkommenheit gestorben, sondern hätte weitergelebt, wäre bei ihm geblieben und hätte verhindert, dass alles so traurig geworden und so grässlich falsch gelaufen ist. Die Prügel interessierten ihn gar nicht mehr. Sie hatten ihn widerstandsfähiger gemacht, als ein Vater, sein richtiger Vater, es je hätte tun können. Was ihn umtrieb, war, was er alles verloren hatte.
    Jeden Abend saß er betrunken am Kamin, nachdem Ralph ins Bett gegangen war, wo die Tröstungen in den Armen von Antonios ehemaliger Geliebten ihn erwarteten. Und dann weinte er. Er weinte um seine Kindheit und ihre einfachen Freuden. Er saß in seinem alten Kinderzimmer und berührte sein ganzes Spielzeug, das Schaukelpferd, die Plüschtiere, die Holzschiffe und Zinnsoldaten, und er weinte um seine eigenen Verluste in der Schlacht.
    Wenn er mit einer Flasche Brandy auf dem Fußboden in seinem Kinderzimmer saß, das nicht verändert worden war, weinte er nicht wegen der Prügel oder der Einsamkeit. Er weinte um die verlorene Zeit. Es war die Zeit, die man nicht wiederbekommen konnte. Ja, Ralph würde wirklich alles tun, und ja, die Zukunft würde ihm ein besseres Leben bringen. Aber die Tage und Stunden, in denen er sich vielleicht anders hätte fühlen können als bloß wütend, elend und voller Schmerz, würde er niemals wiederbekommen. Kein Geld der Welt könnte etwas daran ändern, und nichts, was Truitt sagte, konnte es wiedergutmachen.
    In diesem bodenlosen Leid lag ein geradezu sinnlicher Genuss, ein Trost, den er sich selbst verschaffen konnte, indem er diesen Gefühlen einfach nachgab, eine Erlösung, die er zum ersten Mal nicht im Sex mit einer Frau fand, die er begehrte. Er wusste nicht, warum er sich so verhielt. Es war ihm egal. Kein anderer hatte schließlich sein Leben gelebt. Kein anderer konnte ihm daher sagen, wie er zu sein hatte.
    Vielleicht, dachte er, hatte Ralph ja Recht. Vielleicht konnte er sich noch ändern. Es war ja nicht so, dass ihm sein Leben sonderlich viel Freude oder Seelenfrieden beschert hätte.
    Vielleicht war das Weinen im Kinderzimmer sein erster ängstlicher und vorsichtiger Schritt, den er auf die Liebe zu machte. Er wusste nicht, was Liebe war, aber er wusste, dass er begonnen hatte, andere Gefühle für Ralph zu hegen, etwas zu empfinden, das nicht bloß blinder Hass war. Er war ein Kind, und er wollte seinen Vater und seine Mutter.
    Er wachte morgens auf dem Fußboden in seinem alten Kinderzimmer auf, sein Kopf dröhnte, er hatte sich mit der Steppdecke zugedeckt, mit der er sich schon als Kind zugedeckt hatte, und er zitterte vor Kummer und manchmal auch vor Reue über sein eigenes Verhalten. Er wünschte, er könnte ein anderer Mensch sein.
    Seit Truitt damit aufgehört hatte, ihn zu quälen, seit er stark genug geworden war, um wegzulaufen, hatte er nichts anderes getan, als sich selbst zu quälen. Wenn Truitt versucht hätte, ihn zu töten, dann hätte Antonio, bei all seiner Trauer, daher sein Bestes versucht, um die Sache zu Ende zu bringen. Die benommenen Tage und Nächte, die Frauen, die Ausschweifungen, das hatte alles immer noch nicht ausgereicht. Jetzt, da Truitts Liebe zurückgekehrt war, musste er seine Zerstörung selbst in die Hand nehmen.
    Nie zuvor war ihm der Gedanke gekommen, dass er ein wunderschönes Leben führen könnte. Dass er reich war, dass er nach Rom fahren und eine Prinzessin heiraten könnte, dass er in der Gesellschaft von jemandem, die ihn einfach liebte, kalten Champagner bei Sonnenaufgang auf dem Deck eines Dampfers trinken könnte, der die Südsee ansteuerte, dass er einfach alles tun könnte, was ihm Freude und ein schönes Leben bereitete: Dies waren Vorstellungen, die sich ihm einfach entzogen.
    Die Liebe war für immer aus seinem Leben verschwunden, da draußen vorm Fenster, knapp außer Reichweite, wie eine Frucht auf einem Ast, der ein bisschen zu hoch war. Er ließ den Kopf hängen, kippte seinen Brandy herunter und trauerte um sein Leben, um die Stunden seiner Kindheit, um die Güte dieses Mannes, der ihm ein Vater sein wollte, um die verlorene Schönheit seiner Mutter. Er erkundete die prachtvollen Zimmer im Hause seines Vaters und erkannte, dass es für ihn nirgendwo ein Zuhause mehr gab. Es gab keinen Weg mehr dahin. Niemand wäre da, wenn er

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