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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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die Musik, um zu den Menschen in den Ländern sprechen zu können, in denen man kein Englisch versteht. Er glaubte, Musik sei universell und dass Gott durch die Musik zu den Menschen spricht. Er fand, dass ich gut spiele.«
    Sie fuhr fort und beschrieb die Menschen in Afrika und in China, die Heiden, die ihr unbeholfenes Spiel berührt und die Predigten ihres Vaters bewegt und die sich schließlich zum Christentum bekehrt hatten. Ihre Seelen, sagte sie, seien vor der Hölle bewahrt worden.
    Natürlich dachte sie sich das alles nur aus, dachte sich das alles mit Hilfe der Bücher aus, die sie in der Bibliothek gelesen hatte, Bücher über die Sitten afrikanischer Stämme, über die strenge und prächtige Kleidung der Frauen am chinesischen Hof, über die winzigen Füße und vogelähnlichen Stimmen, aber sie machte es richtig, bis ins letzte Detail, und er saß da und hörte ihr aufmerksam zu.
    Als sie fertig war und alles erzählt hatte, was sie wusste, wobei sie Angst hatte, dass sie den kleinen Vorrat ihres Wissens vielleicht zu schnell aufgebraucht hätte, war er einen Augenblick lang still, dann sagte er: »Wer sind Sie?«
    Â»Ich bin Catherine Land. Ich bin die Frau, die Ihnen die Briefe geschrieben hat, nicht die Frau auf dem Photo, aber ich habe die Briefe geschrieben. Ich bin diese Frau.«
    Er zupfte an seiner Hose herum. Er schien unschlüssig darüber, was er jetzt sagen sollte.
    Â»Ich habe Ihnen etwas zu sagen. Wir werden heiraten. Wer auch immer Sie sind und als was auch immer Sie sich entpuppen werden. Sie sollten das wissen.«
    Â»Sie sagten … ich dachte, Sie wären sich nicht sicher. Sie sind misstrauisch. Immer noch.«
    Â»Sie haben mir das Leben gerettet. Das genügt. Ich weiß, was Sie für mich getan haben.« Er sah ihr fest in die Augen. »Alles, was Sie getan haben. Ich war krank, ich wäre beinahe gestorben, aber ich war nicht bewusstlos.«
    Sie saß still da, die Hände im Schoß. Sie sah ihm in die blassen Augen.
    Â»Sie sind nicht die, für die Sie sich ausgegeben haben«, sagte er.
    Â»Mein Vater sagte, mein Gesicht sei … mein Gesicht sei die Handschrift des Teufels. Zum Bösen bestimmt. Ich habe das Photo von jemand anderem geschickt, von meiner unscheinbaren Cousine India. Sie wollten ja nicht, oder Sie sagten jedenfalls … mein Vater …« Sie war hilflos.
    Â»Genug. Es ist genug. Ich sagte, wir werden heiraten. Sie sind hier. Wir werden heiraten.«
    Sie starrten einander an, starrten ins Feuer.
    Â»Jetzt hören Sie mir zu«, sagte er leise. »Hören Sie sich meine Lebensgeschichte an.«
    Lange saß er nur da und blickte ins Feuer.
    Â»Hören Sie sich meine Lebensgeschichte an.«
    Er erzählte stundenlang. Er erzählte ihr alles. Seine strenge und bittere Kindheit. Er erzählte ihr von seiner Mutter und der Nadel und der quälenden Seelenpein in der sonntäglichen Messe, während die ganze Zeit die Blicke seiner Mutter auf ihm ruhten. Er hatte seiner Mutter geglaubt, so wie wir alle den Menschen glauben, die wir lieben, wenn sie uns sagen, wer wir sind; ihnen glauben, weil das, was der geliebte Mensch zu uns sagt, für uns die Wahrheit ist. Das alles erzählte er Catherine. Er erzählte ihr von seinen dunklen und quälenden Begierden, Begierden, die seine Mutter erkannt hatte, bevor er sie fühlte, die sie in ihm schon als Baby geahnt hatte, so dass sie ihn nicht in dem Arm nehmen oder halten wollte, schon damals nicht.
    Er erzählte ihr vom Tod seines Bruders, von der Leiche seines Bruders in einer Kiste im Kühlhaus, die darauf wartete, dass der Boden taute, damit man ihn begraben konnte, und er erzählte ihr von den Frauen und von Europa und den wollüstigen Ausflügen in die Paläste und Bordelle.
    Er entschuldigte sich nicht. Er neigte nie sentimental den Kopf oder machte eine Pause, damit sie ihre Zustimmung oder ihr Mitgefühl zeigen konnte, und sie wandte nie den Blick von ihm ab, ging kein einziges Mal im Zimmer umher oder scharrte mit den Füßen oder bat um ein Glas Wasser. Sie hörte einfach nur zu. Es war ein ganzes Leben, das er ihr erzählte, umfassend, voller Makel, von Genusssucht und Selbstzerstörung verstümmelt, aber gleichzeitig auch mutig, so schien es ihr, und tapfer.
    Er hatte andere verletzt, das war wohl wahr. Wer hatte das nicht? Aber er hatte auch gelitten. Die Bilanz war

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