Eine Versammlung von Krähen (German Edition)
gesamte Stadt zu betreffen. Die Schreie und sonstigen Geräusche schienen aus einiger Entfernung zu stammen, aber während er dastand und lauschte, näherten sie sich kontinuierlich.
Paul rannte zurück ins Haus, kramte nach seinem Handy und wollte 911 wählen, musste jedoch feststellen, dass das Telefon nicht funktionierte. Kurz starrte er auf das dunkle, leblose Display, nahm dann den Akkudeckel ab, um nachzuschauen, ob die Batterie aus der Haltung gerutscht war. Alles schien in Ordnung zu sein. Er donnerte das Gerät frustriert auf die Arbeitsfläche in der Küche und eilte ins Wohnzimmer zu den vom Boden bis zur Decke reichenden Bücherregalen, die er an einer Wand aufgestellt hatte. Darin standen Taschenbücher und gebundene Ausgaben – Western von Ray Slater, Ed Gorman, Al Sarrantonio, Zane Grey und Louis L’Amour, Geschichtsbücher über Vietnam, den Ersten und Zweiten Weltkrieg und den Koreakonflikt sowie Naturbücher, darunter ein umfangreicher, zweibändiger Führer über Fische und Wild in Nordamerika.
Zwischen den Bänden fanden sich gerahmte Bilder seiner Frau, die ihm zwei Monate vor seiner Pensionierung vom Bauchspeicheldrüsenkrebs genommen worden war, und Aufnahmen seines mittlerweile erwachsenen Sohnes, der mit seiner Frau an der Westküste lebte. Verschiedener staubiger Schnickschnack füllte die restlichen Flächen aus. Oben auf dem Regal fing ein Funkempfänger Extremwetterwarnungen für Brinkley Springs vom Nationalen Wetterdienst, Mitteilungen der Heimatschutz- und Katastrophenbehörde sowie Ankündigungen der regionalen Polizei und Einsatzkräfte auf. Paul hatte ihn vor Jahren im Ausverkauf bei Radio Shack in Beckley erstanden, und er hatte sich vor allem in den Wintermonaten als unschätzbar erwiesen. Paul schätzte besonders die Reservebatterie, die einen Betrieb auch bei Stromausfällen ermöglichte.
Nur diesmal ließ ihn das Gerät im Stich und gab genau wie das Mobiltelefon keinen Mucks von sich.
»Das schlägt dem Fass jetzt echt den Boden aus. Billiger Asia-Schrott. Nichts funktioniert mehr so, wie’s früher mal war.«
Paul stapfte wieder aus dem Haus und brummte missmutig vor sich hin, als der Lärm draußen lauter wurde. Jemand rannte den Bürgersteig hinab, als die Insektenschutztür hinter ihm zufiel. Paul konnte nicht erkennen, um wen es sich handelte. Er fragte sich, ob die unbekannte Gestalt auf etwas zulief oder vor etwas wegrannte. Ihm fiel auf, dass sich die Hunde im Zwinger immer noch verunsichert in die Ecke drängten. Mit der Schrotflinte im Anschlag bewegte er sich erneut auf den Käfig zu. Paul fühlte sich sicherer, wenn er sich in der Nähe seiner Hunde aufhielt.
»Bist du das, Paul?«
Erschrocken zuckte er beim Klang der Stimme zusammen und hätte um ein Haar die Flinte fallen gelassen. Dann erkannte er, dass Gus Pheasant gesprochen hatte, der nebenan wohnte. Gus betrieb zusammen mit seinem Bruder Greg die örtliche Autowerkstatt. Obwohl beide Männer 20 Jahre jünger als Paul waren, mochte er sie sehr und verbrachte an den Abenden regelmäßig Zeit mit ihnen. Greg war geschieden, Gus hatte nie geheiratet, deshalb verband sie ihr Junggesellenschicksal. Axel Perry – ein weiterer Witwer – hatten sie oft eingeladen, sich ihnen anzuschließen, aber der alte Mann ließ sich nie bei ihnen blicken. Paul hatte den Eindruck, dass Axel lieber allein sein wollte. Was Paul jammerschade fand. Axel wusste ja gar nicht, was er verpasste. Obwohl er es nie laut ausgesprochen hätte, fand Paul, dass sich seine Abende etwas weniger einsam anfühlten, wenn er Zeit mit den beiden Männern verbrachte. Er genoss die ruppige Kameradschaft, und es gefiel ihm, mit den Jungs Karten zu spielen, ein paar Bierchen zu kippen und über Sport, Politik und Frauen zu fachsimpeln.
»Ja«, rief er zurück. »Ich bin’s, Gus. Was zum Teufel ist denn los?«
»Ich hab keine Ahnung. Aber es klingt, als wär der Dritte Weltkrieg ausgebrochen, oder?«
Gus trat aus den Schatten hervor. Er wirkte erschüttert. Sein Gesicht war extrem blass, die Augen geweitet und verängstigt. Sein Haar stand wirr in alle Richtungen ab, der Pyjama klebte verschwitzt am Körper und spannte sich über den beachtlichen Bierbauch. Pauls Blick blieb an Gus’ Füßen hängen. Der Mann trug flauschige Spider-Man-Pantoffeln. Der große rote Kopf des kostümierten Spinnenmanns zierte die Spitzen und schien Paul anzustarren.
»Gus, was um alles in der Welt trägst du da?«
Der Mechaniker schaute auf seine Füße
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