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Eine Versammlung von Krähen (German Edition)

Eine Versammlung von Krähen (German Edition)

Titel: Eine Versammlung von Krähen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Keene
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ich weiß nicht, was ich damit andeuten will. Ich meine, früher habe ich nie an solchen Kram geglaubt. Aber ich habe eine Menge erstaunlicher Dinge gehört. Drüben im Irak. Weißt du, die Männer haben untereinander geredet. Vielleicht ist es so, dass man an das Böse zu glauben beginnt, wenn man genug abartige Scheiße mit eigenen Augen gesehen hat. Und ich meine das echte Böse – das, was man uns in der Sonntagsschule beigebracht hat, als wir klein waren. Es gibt so viel mehr auf unserem Planeten, Marsha. Jenseits dieser Berge liegt eine große Welt, und wir wissen nicht annähernd so viel darüber, wie wir glauben.«
    Marsha öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber er kam ihr zuvor.
    »Pass auf, vergiss es einfach. Ich will damit nur sagen, dass wir vorsichtig sein müssen. Vorhin hatten wir unglaubliches Glück, aber wenn wir diesen Drecksäcken noch einmal begegnen, dürfte es uns an den Kragen gehen. Ich sorge dafür, dass dir nichts passiert. Ich weiß nicht, was ich anstellen würde, falls dich einer von denen erwischt.«
    »Donny …«
    Er drehte sich zu ihr, und Marsha sah Tränen in seinen Augenwinkeln aufblitzen. Sie breitete die Arme aus, nahm sein Gesicht zwischen die Hände und zog ihn an sich heran. Er leistete keinen Widerstand. Ihre Lippen trafen sich, und als Marsha die Augen schloss, schien die Dunkelheit ein wenig zurückzuweichen.
    Irgendwo über ihnen krächzte ein Vogel.
    Levi hielt in seiner Rezitation inne und runzelte besorgt die Stirn.
    Nichts geschah. An dieser Stelle des Rituals hätte die entschwundene Seele bereits in den Körper zurückkehren sollen, unabhängig davon, auf welcher Existenzebene sie sich inzwischen aufhielt. Er überprüfte die Symbole und Beschwörungsformeln, vergewisserte sich noch einmal, dass alles an Ort und Stelle war und er nichts vergessen hatte. Dann wandte er sich erneut der Leiche zu.
    »Kannst du mich hören? Wenn ja, befehle ich dir, mir zu offenbaren, wer dir das angetan hat.«
    Der Tote antwortete nicht. Levi musterte die Gesichtszüge des Leichnams, achtete auf ein Anzeichen von Bewegung oder Bewusstsein, so gering es auch sein mochte, doch nichts veränderte sich. Der Körper blieb eine seelenlose Hülle, wie er ihn ursprünglich vorgefunden hatte. Aber warum? Was war schiefgegangen? Schließlich handelte es sich um eine vergleichsweise einfache Totenbeschwörung. Natürlich keine Disziplin, mit der man nachlässig umgehen oder die man leichtfertig betreiben sollte, aber nicht annähernd so schwierig wie viele andere okkulte Herausforderungen. Selbst wenn der Mann bereits seit Stunden tot war, hätte Levi in der Lage sein müssen, seine Seele zurückzuholen. Erst wenn die Verwesung einsetzte, verhallte ein solcher Ruf ungehört. Wie sollte ein Toter auch Fragen mit halb aufgelöster Zunge beantworten?
    »Bist du da? Bitte, ich will nur helfen. Bist du aufgrund deiner Situation verwirrt? Kannst du mir deinen Namen verraten? Willst du mir anvertrauen, wer dir das angetan hat?«
    Stille. Die Falten auf Levis Stirn wurden tiefer. Es hätte zumindest den Funken einer Regung geben müssen, irgendeinen Hinweis darauf, dass die Seele vorübergehend in ihr früheres Gefäß zurückgekehrt war. Aus unerfindlichen Gründen hatte er versagt. Er wusste immer noch nicht, womit er es zu tun hatte, und während seine Fragen unbeantwortet blieben, wurde die Lage in Brinkley Springs mit jeder verstreichenden Minute verheerender. Die Schreie erklangen nun in unmittelbarer Nähe. Er musste sich deren Ursache stellen – was auch immer dahinterstecken mochte. Er musste diese Menschen retten und das Böse besiegen. Allerdings brauchte er dafür den Namen der unbekannten Gegner. Er musste wissen, gegen wen oder was er kämpfte. Alle Macht ging von Namen aus.
    Ohne den Namen zu kennen, war die Lage aussichtslos.
    Verzweifelt zermarterte sich Levi das Gehirn nach einer Alternative. Er ballte die Hände zu Fäusten und bohrte die Fingernägel in seine Handflächen. Die Schmerzen nahm er nicht wahr. Einen flüchtigen Moment lang ertappte er sich dabei, dass er wünschte, die Siqqusim – eine Rasse körperloser Wesen, die von den alten Sumerern als Wahrsager benutzt wurden – wären nicht in der Leere weggesperrt. Sonst hätte er dem Beispiel der sumerischen Priester folgen und eines der Wesen in den Körper dieses Toten holen können, um ihm eine Stimme zu verleihen. Aber dafür hätte er den Schleier durchbrechen müssen, und das überstieg selbst seine

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