Eine Versammlung von Krähen (German Edition)

Titel: Eine Versammlung von Krähen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Keene

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schauderte, und Donny stellte überrascht fest, dass er ebenfalls zitterte.
    »Fahren Sie in Ihrer Schilderung fort«, drängte Levi ihn behutsam. »Wer war dieser Mann?«
    Donny kam der Aufforderung nach und schilderte ihre Flucht in kurzen, stockenden Sätzen. Er musste gegen die Tränen ankämpfen, als er von dem Blutbad und von der Angst und Verzweiflung berichtete, die sie beide empfunden hatten, als sie weggerannt und Brandon sowie die Nachbarin zurückgelassen hatten. Als er die ungewöhnlichen Fähigkeiten der Männer in Schwarz erwähnte, ging er davon aus, dass Levi sich über ihn lustig machen würde, doch der Amish strich sich nur nachdenklich über den Bart und lauschte aufmerksam. Seine Miene wirkte alles andere als ungläubig. Als Donny fertig war, fühlte er sich erschöpft und emotional ausgelaugt. Ihm fiel auf, dass Marsha weinte, und er schlang einen Arm um ihre Schulter, um sie zu trösten. Die Erinnerung an den Kuss stellte sich wieder ein. Er beugte sich hinab und küsste sie auf den Kopf. Ihr Haar roch nach Geißblattshampoo, genau wie damals, als sie noch zur High School gingen. Etwas regte sich in ihm.
    »Das alles ergibt keinen Sinn«, murmelte Levi. Donny hatte den Eindruck, dass der Amish mit sich selbst statt mit ihnen redete. Als der Mann aufschaute, schien er fast überrascht zu sein, dass sie noch da waren. »Sind Sie sicher, dass Sie mir alles erzählt haben?«
    »Der Kuss«, sagte Marsha.
    Einen Moment lang glaubte Donny, dass sie von ihrem Kuss im Gebüsch redete, dann jedoch begriff er, was sie meinte.
    »Sie haben sich hinterher über jeden getöteten Menschen gebeugt«, erklärte Donny. »Und ihn geküsst.«
    »Geküsst? Wie meinen Sie das? Ein sanfter Kuss auf die Stirn, um das Opfer zu ehren?«
    »Nein. Es war eher … obszön. Es sah aus, als wollten sie die Luft aus der Lunge saugen oder so.«
    Levi wurde hellhörig. Seine Augen leuchteten. Zuerst dachte Donny, er hätte etwas gesagt oder getan, das den Mann verärgerte.
    »Was ist?«, fragte er.
    »Die Luft aus der Lunge saugen … oder die Seelen aus den Körpern.«
    Donny zuckte mit den Schultern. »Davon verstehe ich nichts.«
    »Macht nichts. Ich dafür umso mehr. Ich erkenne zwar immer noch keine Zusammenhänge, aber zumindest weiß ich jetzt, wonach sie unter Umständen her sein könnten.«
    Levi legte Donny eine Hand auf die Schulter. Der Junge zuckte überrascht zusammen und spürte eine ungeahnte Kraft, die ihn durchflutete.
    »Sagen Sie mir, wie ich dorthin komme«, forderte Levi ihn auf. »In die Straße, wo Sie den Männern zum ersten Mal begegnet sind.«
    »Dafür brauchen Sie keine Wegbeschreibung. Wenn Sie die finden wollen, folgen Sie einfach den Schreien.«
    Etwas flatterte leise durch die Dunkelheit. Das ungleiche Trio entdeckte eine große schwarze Krähe, die direkt über ihnen auf dem Dachvorsprung des Hauses kauerte. Der Vogel legte den Kopf schief und krächzte, als wollte er sie verhöhnen.
    »Ich glaube, das wird nicht nötig sein«, flüsterte Levi. »Sieht ganz danach aus, als hätten sie umgekehrt uns gefunden.«

Sieben
    Die Krähe krächzte erneut. Das Geräusch hallte laut und abstoßend durch die Nacht. Dann breitete der Vogel die mächtigen Schwingen aus und schwebte zu ihnen herab. Donny und Marsha standen wie gebannt da und beobachteten mit geweiteten Augen, wie er sich ihnen näherte. Levi trat vor.
    »Gehen Sie hinter mir in Deckung.«
    »Es ist doch nur ein Vogel«, sagte Donny.
    »Nein, ist es nicht. Das ist etwas anderes.«
    Die Krähe landete im Garten und schien zu verschwimmen. Sie wuchs, veränderte ihre Form und verwandelte sich in einen groß gewachsenen Mann. Der gesamte Vorgang dauerte nur wenige Sekunden. Levi hörte, wie Donny und Marsha nervös einatmeten. Er wusste, wie ihnen zumute war. Die Transformation war erstaunlich und furchteinflößend zugleich. Er selbst hatte etwas Derartiges nie zuvor zu Gesicht bekommen, und dabei waren seine Reisen wahrlich nicht arm an übernatürlichen Erscheinungen gewesen.
    So unverhofft auf ein derartiges Phänomen zu stoßen, brachte ihn kurzzeitig aus der Fassung. Natürlich hatte er von Therianthropie und Zooanthropie gehört – zwei Begriffe, die im Wesentlichen dasselbe bedeuteten: die Metamorphose vom Menschen zum Tier und umgekehrt. In seiner Bibliothek zu Hause fanden sich etliche Belege dafür, und wenngleich er den Vorgang selbst noch nie miterlebt hatte, kannte Levi Freunde und Kollegen, die diese Erfahrung gemacht hatten, und