Eine Vielzahl von Sünden
Fahrstuhl oder auf der Damentoilette oder kurz vor einer Podiumsdiskussion, und dann brachen sie in kreischendes Gelächter aus. Sie wusste nicht mehr, wie der Witz anfing, deshalb konnte sie ihn Ed nicht am Telefon erzählen.
Alle Seminare, Schaubild-Vorträge, Motivationsreden und peu à peu auch Sitzungen mit den Topmanagern von Weiboldt waren zäh und brachten nichts Neues, eigentlich eine Unverschämtheit. Sie zielten für ihre Begriffe auf Leute ab, die noch nie eine Immobilie verkauft hatten, nicht aber auf die Platin-Makler, die an der Vier-Millionen-Marke vorbeigespurtet waren und besser daran täten, zu Hause die Nachzügler am Ende der Sommersaison zusammenzutreiben.
Howard schwänzte die meisten Sitzungen und suchte sich ein paar neue Typen aus West-Massachusetts, mit denen er über Sport reden konnte – darunter ein glatzköpfiger Lette, gegen den er mal in den Achtzigern bei einem Connecticut-Turnier gespielt hatte. »Das kommt davon, wenn man einer von fünfen ist«, sagte er an Tag drei zu Frances, als sie ihre Regel durchbrachen und sich ein gemeinsames Mittagessen im Food Court des Hotels gestatteten, ein Themenrestaurant (ganz okay: Pioniertreck), wo die Kellner wie Westerndesperados herumliefen, mit Pistolen und falschen Schnurrbärten. »Ich habe meine Jugend damit verbracht, meinen Eltern zuzuhören, wie sie mir zum dreizehnten Mal was erzählten, das ich schon wusste.« Er wirkte vergnügt und kaute an seinem Taco-Salat. »Ich meine, es macht mir nichts aus, wenn mir jemand erklärt, wie man ein Haus verkauft, wo ich schon fünfhundert verkauft habe. Aber ich brauche dem ja nicht nachzulaufen, oder?«
Howard Cameron hatte gewisse Eigenschaften, an die sie sich nie gewöhnen würde, dachte Frances. Er gab sich immer damit zufrieden, wenn ihm jemand etwas sagte, statt selber etwas Relevantes hervorzubringen. Das war eine passive Eigenschaft und ließ ihn zunächst sensibel wirken. Nur war es gar nicht passiv, sondern eigentlich aggressiv: eine Bereitschaft, den anderen etwas Falsches sagen zu lassen und sich dann urteilend an die Seitenlinie zu setzen. So eine Haltung lernte man beim Sport: Der andere Typ baut Scheiße, und wenn er das macht – er macht es nämlich früher oder später immer –, bist du zur Stelle, um den entstandenen Vorteil zu nutzen. Das war eine privilegierte, vorstädtische, zynische Vorgehensweise, und sie ging als locker-flockig durch. Und er machte sie für sich nutzbar. Während jemand wie sie raufen und rackern und die Dinge direkt angehen musste, damit sie überhaupt getan wurden.
Und natürlich würde man ihn nie davon überzeugen können, dass sein Weg nicht in Ordnung war. Er war genetisch darauf festgezwirbelt, die Dinge so zu mögen, wie sie waren. »Das klappt bestimmt«, lautete sein Lieblingsausdruck, um die meisten Fragen zu regeln – etwa die Forderung eines höheren Gebots für eine Immobilie, nachdem ein niedrigeres Gebot bereits akzeptiert worden war, oder dem Klienten einen niedrigeren Zinssatz als den der Bank zu nennen, damit er bei der Stange blieb. Was sie niemals machen würde. Howard aber – der langarmige feierliche dumpfbackige Hartschwanz-Howard Cameron –, der würde es machen, hatte es zahllose Male gemacht, ließ es aber gern so aussehen, als wäre das anders. Es war eine Überraschung – ein Erfahrungswert nach zwei Nächten am Stück mit ihm allein –, aber sie hatte schon beschlossen, schockiert zu sein – falls sie ihn wiedersehen sollte, sobald sie wieder zu Hause waren. Er war kein Betrüger, aber viel besser war er auch nicht.
Am anderen Ende des lärmigen Hotelrestaurants sah sie zwei der New Jerseyerinnen, die neben der großen Chromskulptur mitten im Raum standen und sich suchend nach jemand umschauten, mit dem sie zu Mittag essen konnten. Sie hechelten mal wieder alles durch, wie üblich. Der Food Court befand sich in einem großen lichtdurchfluteten, glasüberdachten Atrium, das dem Radisson aufgepfropft worden war und zwanzig Etagen hoch reichte, mit echten Spatzennestern in den Mauernischen. Aus einem mittigen Spiegelbecken ragte fünfzehn Etagen hoch Richtung Dach ein riesiger rechteckiger Chromflatschen, an dem Wasser herunterrieselte. Natürlich hatten die Leute Hunderte Pennymünzen in das Becken geworfen. Die New Jerseyerinnen schauten daran hoch und lachten. Sie fanden, alles hatte eine sexuelle Bedeutung, die bewies, dass Männer dumm waren. Frances hoffte, sie würden sie nicht erspähen, und wollte sie
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