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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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war. Das machte Hoffnung. Sie musste in Zukunft mehr Zeit draußen verbringen. Und zwar richtig, nicht wie beim Immobilienverkaufen.
    Sie fand es immer noch grässlich, und es wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen, auch jetzt, fast drei Wochen später: dass er gesagt hatte, sie sei gut im Bett – als wäre sie irgendeine Verrenkungskünstlerin vom Jahrmarkt, die er bewerten und vielleicht beklatschen konnte. Howard war ihr Fehler, sosehr sie auch versucht hatte, das anders zu sehen, ihn glücklich zu machen. Es war das eine, dachte sie, und vielleicht in Ordnung, es in einem Motel an der Interstate mit Howard zu treiben. Aber etwas ganz anderes – deutlich weniger gut –, die ganze Sache nach Phoenix zu verlagern, ihn besser kennen zu lernen, zu riskieren, dass sie erwischt und gefeuert wurden, und immer noch zu glauben, dass alles gut gehen würde. Und dumm, saudumm war es, ihn zum Grand Canyon mitzunehmen, diesen kleinen Bremser, Hände-in-Unschuld-Wascher und Quengler. Ed wäre besser gewesen. Ed wäre besser gewesen, denn auch wenn null Sex lief, war Ed immerhin früher mal kein Spielverderber gewesen. Howard Cameron war als Mensch von Anfang an unter ihrem Niveau gewesen. Sie hatte das Kleingedruckte nicht gelesen.
    Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu, wie er über absolut nichts herumsinnierte, seine langen, unbehaarten weißen Beine vor ihm ausgeklappt wie Stelzen, seine knochigen blassen Knie zu tief unter seinen Shorts, seine gewaltigen Füße mit den riesigen grauen Zehennägeln, so hart wie Wolfram, sein weiches charakterloses Gesicht, seine buschigen ungepflegten Augenbrauen. Und sein Basketball-Haarschnitt. Was hatte sie da geritten? Er war nicht interessant oder geistreich oder nett oder tief oder hübsch. Er war ein Besenstiel. Und hier oben, wo alles natürlich und rein und unverfälscht war, erkannte man das einfach. Und wie falsch es war. Die wahre Natur enthüllte die wahre Natur.
    Doch während sie das große rote Feuerwehrauto die kurvige, immer steiler werdende Straße hinaufsteuerte, sechs Meter neben dem jäh abfallenden Abgrund zur Wüste, hatte sie nicht die geringste Lust, sich von ihm ihren Tag verderben zu lassen, mit seiner schlaffschnütigen, sauertöpfischen, mäkeligen, stinkigen schlechten Laune. Heute fühlte sie sich aufgekratzt – berauschend war das. Das Gefühl fuhr ihr direkt in die Körpermitte und setzte etwas frei, das sie dort niemals vermutet hätte, so eingeschlossen und gefangen schon gar nicht. Und sie waren immer noch auf der Straße, nicht mal in der Nähe des Canyons! Wie würde es sein, wenn sie aussteigen könnte, zehn Schritte gehen, und da läge der große Raum vor ihr, der sich über Meilen und Abermeilen erstreckte? Sie konnte es sich nicht vorstellen. Die tiefe Kluft in der Erde. Die großen Wunder hatten alle die Macht, etwas in einem freizusetzen, das nicht frei war. Dichter schrieben darüber. Nur die schleppenden, mürbenden Kleinteiligkeiten des Alltags – Kochen, Fahren, Telefonieren, sich gegenüber Fremden und Nächsten erklären, Häuser verkaufen, Konten führen, Videos ausleihen – all das ließ einen vergessen, was im Leben möglich war.
    Höchstwahrscheinlich würde sie ohnmächtig werden. Ganz sicher würde es ihr erst die Sprache verschlagen, dann würde sie weinen. Womöglich würde sie auf der Stelle hierher ziehen wollen, begreifen, was an ihrem bisherigen Leben falsch gelebt war und wie sich das reparieren ließ. Aus diesem Grund zogen die Leute, denen sie Häuser verkaufte, auch um: Sie wollten dorthin, wo sie besser leben konnten. Sie beschlossen – jedenfalls diejenigen, die kein furchtbarer Unglücksfall zum Umzug zwang –, dass sie selbst ihr Leben bestimmten, nicht irgendwer sonst.
    »Das waren Navajos«, sagte Howard und starrte auf den steil abfallenden Abhang hinter dem rechten Straßenrand. Er brütete schon länger über seinen Gedanken. »Nicht Hopis, ja? Das habe ich in deinem Grand-Canyon-Buch gelesen, während du heute Morgen geschlafen hast.«
    »Egal«, sagte sie.
    »Mache ich dir Angst?«, fragte Howard.
    Frances bremste ab, als sich der Verkehr auf der zweispurigen Straße vor ihnen verlangsamte. »Ob du mir Angst machst?«, sagte sie. »Soll das etwa eine Drohung sein?«
    »Ich weiß nicht«, sagte er.
    »In diesem Augenblick fällt mir wirklich nicht ein, wie du mir Angst machen könntest.« Sie kamen ins Dorf South Rim, Arizona, das wie eine eigenständige Stadt wirkte. Eintausend Einwohner, die am

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