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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Kirchenfensterglasscheiben, die nach Plastik aussahen, das Ganze umgeben von einem weißen Staketenzaun, der auch nach Plastik aussah. Für Quickie-Heiraten, nahm Howard an, eine Ehefrau, die man am Hals hatte, wenn man Glück im Kasino hatte. Wie in Atlantic City. Auch indianische Besitzer, ganz bestimmt. Auf einer Holztafel im graslosen umzäunten Vorgarten stand »Sünder, sucht die Vergebung Chrisi!«, und ihm fiel ein, dass alle in seiner Familie Christen gewesen waren. Die Camerons – Presbyterianer, irgendwo in Schottland damals. Inzwischen nicht automatisch mehr Christen. Der Sonntag war jedermanns freier Tag. Aber absolut gute Menschen. Sein Vater hatte sich immer gefreut, wenn er eine Kirche sah.
    Nur brachte ihn diese schrottige kleine Kapelle auf den Gedanken, dass das Leben im besten Fall eine kleine, kaum wahrnehmbare Einheit darstellte; dabei war es zugleich eine verdammt wichtige Einheit. Und man konnte seine eigene Einheit ganz schnell ruinieren, ohne es zu merken. Und darüber hinaus, überlegte er, war das Gefühl, wenn man gerade dabei war, sein Leben zu ruinieren, bestimmt genauso, wie diese verschandelte Landschaft aussah! Trocken, leer, hell, eisig, fremd. Nicht leicht, hier Luft zu kriegen. Und ringsherum war also die Hölle, dachte er, und die Hölle war gar nicht die alte Version, von der ihm sein Vater erzählt hatte, die unter der Erde. In diesem Augenblick zog die Brise über seine nackte Brust, er fröstelte und verkrampfte sich. Ein Greyhound rumpelte über den Highway, wirbelte Staub auf und schickte einen einsamen Mann aus der Kasinotür, zum Starren. Nur hier draußen zu sein, dachte Howard, reichte schon, um einem Angst zu machen, bis man sich bereitwillig in Chrisi Hände begab, bevor man noch irgendetwas Furchtbarem zum Opfer fiel – eine Verzweiflung, vor der man nicht davonlaufen würde, eben weil man so klein und unbedeutend war. Oder schlimmer. Er fand es absolut gerechtfertigt, diesen Ort hier zu hassen. Ein Glück, dass sein Vater nicht dabei war. Der Greyhound wurde zu einem kleinen Fleck auf dem südwärts fahrenden Highway. Er musste Frances unbedingt dazu kriegen, den Grand Canyon zu vergessen, und sich an diesen Bus Richtung Phoenix dranhängen. Er war eigentlich ja nur für die Fahrt mitgekommen. Gesellschaft leisten. Er konnte für all das gar nichts.
    Als Frances aus dem Tipi ins harte Licht und die kühle Brise trat, sah sie müde aus – ihre blaue Ankerbluse verknittert, ohne ihre Saphirohrringe, nur die kleinen Löcher sichtbar. Aber glücklich sah sie aus. Sie hatte geduscht und ihr blondes Haar zurückgestrichen, in der Hand hielt sie ihre Handtasche und die Ginflasche. Sie wirkte jünger und so, als wüsste sie nicht genau, wo sie war, hätte aber gar nichts dagegen. Was immer die letzte Nacht für sie gewesen war, unbefriedigt hatte sie sie nicht gelassen – obwohl er sich an nicht mehr viel erinnern konnte, außer dass es nicht sehr lange gedauert hatte und er dann weggesackt war.
    Er hatte im Kasino zwei Styroporbecher voll Kaffee geholt und saß jetzt auf dem Kotflügel des Lincoln und blätterte in ihrem Grand-Canyon-Buch. Er hatte sein Hemd gefunden und fühlte sich besser, war aber bereit zur Abfahrt.
    »Scharrste schon mit den Hufen?« Frances sah sich auf dem leeren Parkplatz um und hoch zu den Bergen. Sie lächelte den klaren blauen Himmel an und trank einen Schluck Kaffee. Ihre Kehle schien irgendwie verstopft zu sein, und sie räusperte sich die ganze Zeit. Ganz trittsicher war sie noch nicht, mit zusammengekniffenen Augen und aufgedunsenem Gesicht.
    »Bereit zum Aufbruch, irgendwohin«, sagte er, in der Hoffnung auf Phoenix, ohne mit der Tür ins Haus fallen zu wollen.
    »Wunderschön hier, oder?« Sie blinzelte, den Becher an den Lippen. »Bist du glücklich?«
    »Mir geht’s prima.«
    »Gestern Nacht?«, sagte sie. Schaute verwirrt drein. »Weißt du? Nachdem du eingeschlafen warst? Ich bin aufgewacht und wusste nicht, wo ich war, und ich wusste auch wirklich nicht, wer du warst. Das war komisch. Wahrscheinlich lag’s am Gin. Aber ich ging auf alle viere und habe dir direkt ins Gesicht gestarrt. Ich konnte deinen Atem auf meinen Augäpfeln spüren. Ich habe dich nur angestarrt und angestarrt. Ein Glück bist du nicht wach geworden. Du hättest glatt denken können, du wärst mitten in einer Operation aufgewacht.«
    »Oder dass ich tot wäre.«
    »Klar. Das auch.« Sie bemerkte die vielen Kakerlaken-Hüllen, die noch von den Stufen zu ihrem

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