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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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bringen, so, wie er es konnte. Das war Vertrautheit. Einer bestimmten Art. Ja.
    Vielleicht aber – während sie in der körnigen Dunkelheit lag, Howard neben ihr sofort und unendlich tief eingeschlafen –, vielleicht hatte sie sich im Auto nur allzu deutlich ausgedrückt, und er war einfach ihrer Anordnung gefolgt. »Ich will bloß gefickt werden.« Das hatte sie gesagt. Das konnte jeder verstehen. Sie hatte also die Dinge inszeniert, nicht er. Es war ihr nur nicht klar gewesen. Er hatte lediglich zugelassen, dass sie ihn einsetzte – das war das richtige Wort – und zu ihrem Instrument machte, wodurch er etwas reparieren, entleeren, beenden, loswerden wollte – was auch immer. So gut kannten sie sich doch gar nicht. Mit der Vertrautheit hatte sie sich geirrt.
    Draußen auf dem Parkplatz hörte sie Männerstimmen, dann Lachen, schließlich knallten Autotüren zu, Motoren wurden gestartet, Reifen rollten über den Kies. Weiter weg plötzlich laute Country-Musik, als wäre eine Tür aufgestoßen worden. Dann war die Musik wieder gedämpft, woran sie erkannte, dass sie sie schon seit einer Weile gehört hatte, ohne es zu merken. Dann rief jemand: »Uuu-iii«, und ein Auto röhrte davon. Sie hatte die Flasche Gin aus dem Auto mit hereingebracht, und sie nahm sie vom Nachttisch, drehte den Verschluss auf und kippte einen winzigen Schluck – nur um den schalen, papiernen, insektengiftgetränkten Geschmack im Mund loszuwerden. Und dann konnte sie nicht anders, sie musste sich doch fragen, so müßig das war: War das alles jetzt wirklich vorbei? Konnte es nicht noch ein bisschen länger andauern, nach heute Nacht, ohne festes Ziel? Es hatte schon seine kleinen guten Seiten. Sie begriffen beide etwas. Die Leute beendeten so etwas oft zu früh, verloren die Geduld, auch wenn sie noch weitermachen konnten. Wenn sie sich wirklich mit dem anderen ausradierten, dann konnten sie endlos so weitermachen. Sie jedenfalls. Und Howard würde keinen Widerstand leisten, nahm sie an. Diesen Blickwinkel konnte sie jetzt einnehmen, und sie war froh darüber, es war mehr, als sie von dieser Nacht erwartet hatte. Eine Überraschung im Dunkeln.
    Auf dem Beton der Eingangsstufen zu ihrem Tipi lagen die braunen Hüllen von zweihundert Kakerlaken verstreut, getötet von dem Insektengift, das jemand um die Tür gesprüht hatte, als sie schon schliefen. Unangenehm, da draufzutreten. Eine Indianerin fegte die Hüllen vor den anderen Tipis mit einem Besen und einem Kehrblech weg. Ein junger Indianer mit Pferdeschwanz stand daneben, schaute zu und sprach leise mit ihr. Das einzige andere Auto auf dem Parkplatz war ein zerbeulter schwarzer Camaro mit gelben Flammen auf der Seite und einem Ersatzreifen hinten über der Stoßstange.
    Die Morgensonne war warm, obwohl eine kühle Herbstbrise den Staub über den Asphalt zum Kasino blies, vor dem immer noch ein paar Autos und Trucks standen. Es war acht. Ein kleines Neon-Rechteck, das zuvor auf dem SCHLAG ZU, WERD REICH -Schild nicht erkennbar gewesen war, leuchtete auf: FRÜHSTÜCK WIRD JETZT SERVIERT . Die blauen Polizeiblinklichter waren abgeschaltet.
    Frühstück war doch mal eine Idee, dachte Howard, ohne Hemd auf der Schwelle des Tipis, seine Augen schmerzten. Er hatte sein Hemd auf dem Boden des dunklen Zimmers nicht gefunden. Welche Erleichterung – selbst ohne Hemd –, allein in dem leeren Kasino zu frühstücken, während Frances weiterschlief. In einem Kasino waren sie durch nichts zu erschüttern. Er konnte auf dem Rückweg Kaffee mitbringen, mit den Drink-Coupons dafür bezahlen.
    Weit hinter dem SCHLAG ZU, WERD REICH ragten baumlose braune Berge mächtig vor dem kühlen Himmel auf. Gestern Nacht bei ihrer Ankunft hatte es die nicht gegeben. Im Osten kam so eine Aussicht wirklich nie vor – immer Bäume und Wolken und ein kleinerer dunstiger Himmel, selbst am Meer. Also war das gut – die Fahrt hatte sie an einen höheren Ort gebracht, wo die Luft sauberer, dünner war, auf ein wunderschönes Ödland, wo keiner leben wollte außer Indianern. Und irgendwo dahinter lag der Grand Canyon – das große Erosionsloch, dessen Anblick bei Tagesanbruch Frances jetzt verschlief. Vielleicht würde sie das Ganze einfach vergessen und wieder zum Kongress zurückfahren wollen.
    Er trat hinaus auf den Parkplatz, ohne Hemd, in seinen Frotteeshorts und Turnschuhen. Auf der anderen Seite des Highways, neben dem Kasino, stand eine kleine, neu wirkende weiße Holzlatten-Kapelle mit einem Turm und ein paar

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