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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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zur Höhe seiner Augen, als erwartete er, dass etwas auf sie niederstürzte. Ich weiß nicht, was diese Geste bedeutete, obwohl ich oft darüber nachgedacht habe – manchmal mitten in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann. Hohn, denke ich; oder vielleicht hieß es nur, dass er nicht begriff, warum ich die Ente nicht geschossen hatte, und eine Antwort von mir erwartete. Oder vielleicht war es noch etwas anderes, ein Zeichen, dessen Bedeutung ich nie ergründen werde. Fabrice war ein merkwürdiger Mann. Da würde keiner widersprechen.
    Mein Vater hatte sich inzwischen auf seine schlammigen Füße gerappelt, wenn auch mühevoll. Er legte seine Flinte an und schoss einmal auf die Ente, die nur noch ein winziger Fleck am Himmel war. Und natürlich holte er sie nicht herunter. Er starrte eine Weile, Flinte an der Schulter, bis der kleine Flügelfleck verschwunden war.
    »Was zum Teufel ist passiert?«, fragte er, sein Gesicht rot vom Kauern und plötzlichen Aufstehen. »Warum hast du die Ente nicht geschossen?« Er hielt sich mit einer Hand an der Seitenwand des Erdsitzes fest, und sein Mund hatte sich zu einer Grimasse geöffnet. Ich konnte seine weißen Zähne sehen. Er wirkte, als müsste er gleich umfallen. Schließlich war er immer noch betrunken. Sein blondes Haar glänzte in dem dunstigen Licht.
    »Ich war nicht nah genug dran«, sagte ich.
    Mein Vater drehte sich um und schaute zu den Lockenten, als könnten die etwas beweisen. »Nicht nah genug dran?«, wiederholte er. »Ich hab doch den Flügelschlag der verdammten Ente gehört. Wie nah brauchst du’s denn? Du hast doch eine Flinte.«
    »Du hast sie überhaupt nicht gehört«, sagte ich.
    »Nicht gehört?«, sagte er. Er hob seine Augen von meinem Gesicht und entdeckte Renard Junior hinter mir. Sein Mund nahm einen eigenartigen Ausdruck an. Der Ärger verließ seine Züge, und plötzlich schaute er amüsiert drein, die feuchten Mundwinkel enthüllten ein kleines flackerndes Lächeln, das ganz bestimmt Verächtlichkeit ausdrückte, da war ich mir sicher, weil ich im entscheidenden Moment versagt und einen Fehler gemacht hatte, also nicht so ernst genommen werden musste. Und dies von einem Mann, der meine Mutter und mich unserem Schicksal überlassen hatte, während er sich würde- und schamlos vergnügte, außer Sichtweite aller, die ihn kannten.
    »Du weißt überhaupt nichts«, sagte ich plötzlich. »Du bist doch nur …« Ich weiß nicht, was ich sagen wollte. Etwas Schreckliches und Verletzendes. Etwas, das ihm einen Schlag versetzen sollte und das mir immer Leid getan hätte. Deshalb sagte ich nichts mehr, sprach nicht zu Ende. Obwohl ich das für mich tat, denke ich heute, nicht für ihn – damit ich nicht noch mehr bedauern musste als ohnehin schon. Mir war eigentlich egal, was mit ihm passierte, ehrlich gesagt. War es und ist es.
    Und dann sagte mein Vater, immer noch das Lächeln auf seinen attraktiven Lippen: »Na komm, mein Junge. Du musst noch ein bisschen erwachsen werden, wie ich sehe.« Er streckte eine Hand aus und legte sie in meinen Nacken, der steif war vor Wut und Hass. Und da er das offenbar nicht bemerkte, zog er mich zu sich und küsste mich auf die Stirn und legte seine Arme um mich und hielt mich so lange fest, bis vorbei war, was immer er dachte, und es Zeit wurde, zum Steg zurückzufahren.
    Nach diesem Morgen, Dezember 1961 auf dem Grand Lake, lebte mein Vater noch dreißig Jahre. Wie immer man es rechnen will, er lebte danach noch ein ganzes Leben. Ich bin nicht interessiert an dem Warum und Warum-nicht dessen, was er tat und nicht tat, oder an der Frage, warum mir dieser Tag so vorkam, als hätte er mein Leben verändert, weil es ganz sicher nicht so war. Mein Leben hatte sich längst verändert. An diesem Morgen wurden nur bestimmte Gegebenheiten, die ich von nun an erleben würde, zum ersten Mal klarer. Wie mein Vater bin ich Rechtsanwalt geworden. Das Recht ist eine Berufung, und sein Ruf lehrt dich, dass das Leben meist aus Anpassungen besteht, aus Setzungen und Neusetzungen, die wir durchführen, damit sich Ereignisse, die sich außerhalb unserer Kontrolle befinden und die wir eigentlich auch gar nicht hätten kontrollieren wollen, erträglich gestalten lassen. Das gilt vor allem für Situationen der Versuchung, so wie ich sie, einen Moment lang, in dem Erdsitz bei der Entenjagd erlebte oder immer dann in den letzten dreißig Jahren, wenn ich mir um meinen Vater Sorgen machte oder mich über ihn ärgerte, oder sogar jetzt,

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