Eine Vielzahl von Sünden
aus dunkelolivgrünem Köper – teurer Mantel, dachte ich, italienisch. Seine braunen Schuhe waren auf Hochglanz poliert; seine Hosenbeine fielen in genau der richtigen Länge darauf. Und da er keinen Hut trug, wirkte er noch größer, als er tatsächlich ist – vielleicht einsneunzig. Die Hände steckten in den Manteltaschen, das glatte Kinn hielt er etwas erhoben, wie es ein Mann im mittleren Alter leicht tut, und es schien, als käme er sich dort äußerst auffällig vor. Vorn wurde sein Haar etwas schütter, aber es war sorgfältig geschnitten, und er war braungebrannt, wodurch sein eckiges Gesicht und die markante Stirn schwer wirkten, fast künstlich, als wäre der Mann, den ich sah, gar nicht Mack Bolger, sondern eine gut aussehende Puppe, genau dorthin gestellt, um meine Aufmerksamkeit zu erregen.
Vor anderthalb Jahren hatte ich eine Zeit lang etwas mit Macks Frau gehabt, Beth Bolger. Seltsamerweise – aber nur, weil alle Ereignisse, die sich außerhalb New Yorks abspielen, den New Yorkern seltsam und kurios unwirklich vorkommen – hatte unsere Affäre sich in St. Louis zugetragen, jener weitgehend übersehbaren Backstein-Abstraktion, die weder Westen noch Mittlerer Westen ist, weder Süden noch Norden; die Stadt, die in der Mitte verloren gegangen ist, so sehe ich sie. Ich habe es immer interessant gefunden, dass hier nicht nur T. S. Eliot seine Jungenzeit verbrachte, sondern auch, lediglich fünfundachtzig Jahre früher, die Expansion nach Westen ihren Anfang nahm. Ein Ort, von dem die Welt gar nicht schnell genug wegkommen kann, nehme ich an.
Was zwischen Beth Bolger und mir ablief, ist kaum die Worte wert, die es bräuchte, um alles wegzuerklären. Von jeder anderen Warte als der meinen aus gesehen, war es ein ganz gewöhnlicher Ehebruch – kühn und aufregend; dann, nach kurzer Zeit, sobald wir den Kontinent ein paar Mal überquert und so vielen Menschen wie möglich Unglück, Peinlichkeit und Kummer gebracht hatten, wurde es enttäuschend und würdelos und am Ende geradezu katastrophal für alle Beteiligten. Da es die Wahrheit ist, Mack Bolgers unangenehmes Dilemma noch verkomplizierte und ihn außerdem sympathischer dastehen lässt, will ich noch hinzufügen, dass er mir irgendwann gegenübertreten musste (und Beth gleich mit), in einem Hotelzimmer in St. Louis – in einer hübschen, anmutigen alten Scheune namens The Mayfair –, was dazu führte, dass ich was auf die Nase kriegte, keine große Sache, und dann in die ausgestorbene Innenstadt gescheucht wurde, an einem warmen, schwülen Samstagnachmittag, ohne die geringste Ahnung, was ich tun sollte, und am Ende saß ich auf dem Flughafen von St. Louis und wartete stundenlang auf den Mitternachtsflug zurück nach New York. Neben meiner Würde blieb dabei ein brauner Seidenschal von Hermès mit Troddeln auf der Strecke, den mir meine Mutter 1971 zu Weihnachten geschenkt hatte; für sie gehörte dieses Geschenk damals zu den schönsten Dingen, die sie je gesehen hatte, genau das Richtige für einen Mann, der gerade seine Laufbahn als Verlagslektor begann. Ich bin froh, dass sie nicht mehr erfahren musste, dass ich ihn verlor und wie es geschah.
Beth Bolger sah ich übrigens auch nicht wieder, abgesehen von einem Glas, sorgenvoll und bitter, das wir im letzten Frühling zusammen im Theater District tranken; eine nervöse, unbehagliche Verabredung, zu der wir uns irgendwie verpflichtet fühlten und nach der ich mich über die 47. Straße trollte und dachte, das ganze Leben sei ein trauriges Durcheinander, während Beth sich in Der Eismann kommt davonmachte, das gerade am Broadway lief. Seit wir damals auseinander gingen, haben wir uns nicht mehr gesehen, und wie gesagt, mehr zu erzählen wäre die Worte nicht wert.
Als mir allerdings Mack Bolger in der überfüllten, festlichen, weihnachtlich geschmückten Halle von Grand Central ins Auge fiel, ziemlich geistesabwesend dreinschauend, aber doch eindeutig er, so weit von der Mitte des Landes entfernt, da überkam mich ein plötzlicher und merkwürdiger Impuls – nämlich direkt durch das strudelnde Meer der Reisenden zu schreiten und ihn anzusprechen, so wie man einen flüchtigen Bekannten ansprechen würde, dem man überrascht, aber nicht ungern begegnet. Und nicht um irgendetwas Besonderes kundzutun oder in Gang zu setzen (etwas klarzustellen oder wieder gutzumachen zum Beispiel), sondern nur um ein Ereignis zu schaffen, wo vorher keins war. Kein unangenehmes oder provokatives. Schlicht einen
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