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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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immer noch meinen geflochtenen Ledergürtel um seinen Hals geschlungen wie eine Leine. Friedlicher und unbekümmerter, als er jetzt wirkte, hätte er wohl nie sein können. Ich hatte ein paar Würstchen auf einem Plastikunterteller rausgestellt, daneben eine rote Plastikschüssel mit Wasser – beide dorthin, wo er sie finden konnte. Ich nehme an, er hatte gegessen und war eingenickt, bevor er wieder herauskam, jetzt am Abend, um mich daran zu erinnern, dass er noch da war, vielleicht auch, um sein zunehmendes Wohlgefühl in der neuen Umgebung zu bekunden. Ich war versucht, mir vorzustellen, was für eine seltsame, unvorhersehbare Erfahrung es sein musste, er zu sein, so neu im Leben und ohne große Verteidigungsmöglichkeiten, ohne großen Einfluss auf irgendetwas. Doch aus offensichtlichen Gründen untersagte ich mir diesen Gedanken. Und ich merkte, wie ich da stand, dass sich mein Gefühl zu dem Welpen schon etwas verändert hatte. Vielleicht beeinflusste mich Sallies schwedische Unsentimentalität; oder das anscheinend unzähmbare Wesen des Welpen; vielleicht auch all die anderen Zettel auf den Anschlagtafeln und Telefonmasten, die fröhlich, aber hoffnungslos festzustellen schienen, dass man dem Schicksal nicht entgehen konnte und dass Charakter, Persönlichkeit, Willenskraft, selbst ein unzähmbares Wesen nur zufällige Nebenerscheinungen waren. Ich schaute auf den kleinen, flachen, schwindenden weißen Schatten, der reglos vor den dunkler werdenden Backsteinen saß, und ich dachte: Ja, okay, hier bist du nun, und das tue ich, um dir zu helfen. Unterm Strich kommt es wohl nicht darauf an, ob jemand anruft oder ob jemand kommt und dich mit nach Hause nimmt und du ein langes, glückliches Leben lebst. Sondern darauf, welche Entscheidung wir treffen, eine Entscheidung, die von Zeit und Gelegenheit gesteuert wird und davon abhängt, wie wirksam wir uns zum Weitermachen überreden, bis eine andere Macht übernimmt. (Wir hoffen immer, dass es eine positive und zuträgliche Macht ist, aber wer weiß das schon.) Das ist sicher noch so eine Sichtweise, die man sich als Anwalt zulegt – vor allem als einer, der sich erst zu einem späten Stadium in die Dinge einschaltet, so wie ich. Ich war jedoch froh, dass Sallie nicht da war und diese Gedanken mitbekam, denn sie hätte nur gedacht, dass die Welt ein herzloser Ort ist, was sie wirklich nicht ist.
    Am nächsten Morgen nahm ich den TWA -Flug zurück nach St. Louis. Spät am Vorabend hatte aber noch jemand angerufen, um sich zu erkundigen, ob der zugelaufene Welpe von meinem Aushang gegen diverse gefährliche Krankheiten geimpft sei. Ich musste zugeben, dass ich keine Ahnung hatte, da er kein Halsband trug. Er sehe allerdings ziemlich gesund aus, fügte ich hinzu. (Die plötzlichen Bellanfälle und das Pinkeln ohne Vorwarnung kamen mir belanglos vor.) Ich hatte eindeutig eine ältere schwarze Frau am Apparat – sie sprach mit einem schweren kreolischen Akzent und nannte mich ein- oder zweimal »Baby«, stellte sich ansonsten aber nicht vor. Sie sagte, der Welpe hätte größere Chancen auf eine Familie, wenn er geimpft und von einem Tierarzt für gesund erklärt worden wäre. Dann erzählte sie mir von einer privaten Agentur uptown, die darauf spezialisiert sei, ein neues Heim für Hunde bei älteren und häuslichen Menschen zu finden, und beflissen schrieb ich den Namen auf – »Ein Herz für Hunde«. Während unseres endlosen Gesprächs sagte sie außerdem, die Geste, den Welpen untersuchen und gegen Tollwut spritzen zu lassen, würde unseren guten Willen bezeugen, für das Tier zu sorgen, und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass es in die engere Wahl komme. Nach einer Weile schwante mir, dass diese alte Dame vermutlich völlig durchgeknallt war und sich damit die Zeit vertrieb, Telefonnummern anzurufen, die sie auf Aushängen im Waschsalon las, und stundenlang über verlorene Kätzchen, Makrameekurse und Suzuki-Klavierstunden zu schnattern, lauter Zeug, das sie am nächsten Tag wieder vergessen hatte. Wahrscheinlich war sie aus der Nachbarschaft, wobei es nicht mehr viele schwarze Damen im French Quarter gibt. Aber ich sagte, ich würde ihren Vorschlag erwägen, und bedankte mich dafür, dass sie sich so viele Gedanken gemacht habe. Als ich unschuldig nach ihrem Namen fragte, stieß sie einen überraschenden Fluch aus und legte auf.
    »Ich mache das«, sagte Sallie am nächsten Morgen, als ich frische Hemden in meinen Kleidersack legte und mich für die Fahrt zum

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