Eine Vielzahl von Sünden
immer öfter an. Sie schickte Bilder, auf denen sie mit Jack zu sehen war. Jüngere Bilder, aus der Zeit, seit Faith mit an Bord gekommen war. Es sei doch schwerer, sich aus der Verstrickung zu lösen, als er gedacht habe, gestand Jack. Faith müsse Geduld haben. Greta sei doch immerhin ein Mensch, der ihm einmal »sehr viel bedeutet« habe. Den er geheiratet haben könnte. Und nicht verletzen wollte. Sie habe Probleme, doch. Aber er werde sie nicht einfach im Stich lassen. Zu dieser Sorte Männer gehöre er nicht, und darüber werde Faith auf lange Sicht noch froh sein. Im Übrigen sei da noch der kranke Patriarch. Und seine Mutter. Und seine Schwestern. Das hatte dann gereicht.
Snow Mountain Highlands ist ein kleinerer Wintersportort, aber nett. Familie, nicht Après-Ski. Faiths Mutter hat es als »Ferienparadies« im Erie Weekly entdeckt. Das Reisepaket beinhaltet eine Ferienwohnung, Tickets für den Skilift am Wochenende und Coupons für drei Tage Schwedisches Smorgasbord in der Jagdhütte im bayrischen Stil. Das Angebot gilt allerdings nur für zwei. Die anderen müssen voll bezahlen. Faith wird mit ihrer Mutter in der »Elternsuite« schlafen. Roger kann sich das Doppelzimmer mit den Mädchen teilen.
Vor zwei Jahren, als Schwester Daisy anfing, sich für den Bikerboy Vince zu interessieren, hat sich Roger einfach »zurückgezogen«. Ihr und Rogers Sexleben habe seit langem seinen Kitzel verloren, teilte Daisy vertraulich mit. Dabei war es zu Anfang ganz gut gelaufen, als Bilderbuchpaar in einem Suburb von Sandusky, aber irgendwann – nach ein paar Jahren und zwei Kindern – endete das Glück, und Daisy war von Vince erobert worden, der Amphetamine mochte und, was noch wichtiger war, sie verkaufte. Seit es Vince gab, war der Sex richtig gut geworden, ließ Daisy wissen. Faith glaubt, dass Daisy auf ihre Hollywoodkontakte und ihren Hollywoodlebensstil und das Jaguar-Cabrio neidisch ist und eigentlich ihr Leben weggeschmissen hat (zumindest bis zum Entzug), um irgendwie Faiths Leben zu simulieren, bloß mit einem Biker. Irgendwann ist Daisy zu Hause ausgezogen und hat über zwanzig Kilo zugenommen, bei einem Körper, der schon vorher wollüstig und nicht sehr hoch gewachsen war. Letzten Sommer, am Strand in Middle Bass, hat Daisy Faith doch tatsächlich vor Wut auf die Brust geboxt, als diese vorschlug, dass Daisy mal abnehmen, Vince abschaffen und eine Rückkehr zu ihrer Familie erwägen solle. Das war kein diplomatischer Vorschlag, erkannte sie später. »Ich bin nicht wie du«, kreischte Daisy da draußen am Sandstrand. »Ich ficke zum Vergnügen. Nicht geschäftlich.« Und damit watschelte sie in die laue Brandung von Lake Erie hinaus, in einem Einteiler in Pink, der von einem Rüschenröckchen geschmückt war. Da hatte Roger die Mädchen schon, dank einer richterlichen Anordnung.
Jetzt, in der Ferienwohnung, hat Esther ihre Soaps geguckt, aber damit aufgehört, um Streitpatience zu spielen und am großen Panoramafenster mit Aussicht auf den belebten Skihang und die Eisbahn ein Glas Wein zu trinken. Roger ist tatsächlich auf dem Anfängerhang mit Jane und Marjorie, obwohl sie unmöglich zu identifizieren sind. Rote Anzüge. Gelbe Anzüge. Massenweise Dads mit Kindern. Alles ohne Ton.
Faith war gerade in der Sauna und überlegt jetzt, Jack anzurufen, wo immer er ist. Nantucket. New York. London. Sie hat ihm gar nichts Besonderes zu sagen. Später will sie sich die Langlaufloipe bei Mondschein vornehmen. Nur um nichts auszulassen und ein gutes Vorbild abzugeben. Dafür hat sie einige Erwerbungen aus LA mitgebracht: Lodenknickerbocker, einen grün-braun-roten Pullover, der im Himalaya gestrickt worden ist, Socken aus Norwegen. Auf gar keinen Fall hat sie vor zu frieren.
Esther spielt mit zwei Kartenspielen im Hochleistungstempo, ihre kurzen dicken Finger schnippen die Karten und klatschen sie hin, als hasste sie das Spiel und wollte, dass es so schnell wie möglich vorbei ist. Ihre Augen sind hellwach. Sie hat eine cremefarbene Nackenstütze angelegt, denn die Verspannung vom Autofahren hat eine alte Arbeitsverletzung verschlimmert. Und sie trägt jetzt einen großen orangefarbenen Mumu mit Hawaii-Aufdruck. Wie lang, fragt sich Faith, trägt sie eigentlich diese Zelte schon? Mindestens zwanzig Jahre. Seit Faiths Vater – Esthers Mann – den Löffel abgegeben hat.
»Vielleicht fahre ich nach Europa«, sagt Esther und schnippt Karten wie eine Wilde. »Das wäre doch nett, oder?«
Faith steht am Fenster
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