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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Einlieferungsoutfit einigten sie sich dann auf ein nettes dunkles Hauskleid aus Jersey und ein neues Paar weiße Adidas.
    Die Unterseite der Charakterstärke, die Nicht-Anwalts-Seite besteht, das weiß Faith, aus der Tatsache, dass sie fast siebenunddreißig ist und nichts in ihrem Leben besonders solide. Sie hat viel Geduld (mit Arschlöchern), kann sich hinter den Kulissen sehr nützlich machen (bei Arschlöchern). Ihr Glas ist immer halb voll. Standhalten und verbessern, das könnte ihr Motto sein. Veränderungen wittern. Wobei die Fähigkeiten im Umgang mit dem Gesetz wiederum nur zum Teil kompatibel mit den Anforderungen des Lebens sind.
    Jetzt kommt links ein hoher silberner Schornstein vorbei, mit blinkenden weißen Lichtern an der Spitze und mehreren grauen Kühltürmen in Megafonform drum herum. Dichter kreidiger Rauch quillt aus den Türmen. Der Lake Michigan dahinter sieht aus wie eine blauweiße Wüste. Es hat drei Tage lang geschneit, jetzt aber aufgehört.
    »Was ist das große Ding da?«, fragt Jane oder vielleicht auch Marjorie und späht durchs Rückfenster. Es ist zu warm in dem preiselbeerfarbenen Suburban, den Faith am Flughafen von Cleveland für diese Reise gemietet hat. Die Mädchen kauen beide Kaugummi mit Wassermelonengeschmack. Ihnen allen könnte gleich schlecht werden.
    »Das ist ein Raumschiff, das gleich in den weiten Weltraum startet. Möchtet ihr gern mitfahren, Mädels?«, sagt Roger, der Schwager, zu seinen Töchtern. Roger ist der freundlich-lustige Nachbar aus der Familiensoap, allerdings gar nicht mal so lustig. Er ist klein und auf sanfte Weise gut aussehend und trägt Bürstenhaarschnitt und eine schwarze Hornbrille. Und er ist ein Ekel – ganz subtil, so wie Faith es von einigen Fernsehschauspielern her kennt. Er ist siebenunddreißig wie sie und mag Strickjacken in Pastellfarben und Schuhe von Hush-Puppies. Daisy war ihm sehr, sehr untreu.
    »Es ist gar kein Raumschiff«, sagt Jane, die Ältere, presst die Stirn an die beschlagene Scheibe und zieht sie wieder zurück, um die verschmierte Stelle zu begutachten, die sie hinterlassen hat.
    »Es ist eine fette Gurke«, sagt Marjorie.
    »Du halt den Mund«, sagt Jane. »Das ist ein böses Wort.«
    »Ist es gar nicht«, sagt Marjorie.
    »Hat eure Mutter euch dieses Wort beigebracht?«, fragt Roger und verzieht das Gesicht. Garantiert. Das hat sie euch hinterlassen. Fette Gurke.« Auf dem Cover von Skipisten ist ein Foto von Hermann Maier in einem signalroten Anzug, wie er den Mount Everest hinunterwedelt. Die Titelzeile lautet ER SCHRECKT VOR NICHTS ZURÜCK .
    »Na hoffentlich nicht«, sagt Faiths Mutter am Steuer. Sie hat den Sitz ganz weit zurückgeschoben, um ihren Bauch unterzubringen.
    »Okay. Zweimal dürft ihr noch raten«, sagt Roger.
    »Es ist ein Atomkraftwerk, wo sie Strom machen«, sagt Faith und lächelt nach hinten zu ihren Nichten, die auf die Schornsteine starren und das Interesse verlieren. »Damit heizen wir unsere Häuser.«
    »Aber wir mögen es nicht«, sagt Esther. Esther war schon eine Grüne, bevor es schick wurde.
    »Warum?«, sagt Jane.
    »Weil es unsere wertvolle Umwelt bedroht, deshalb«, antwortet Esther.
    »Was ist ›unsere wertvolle Umwelt‹?«, sagt Jane heuchlerisch.
    »Die Luft, die wir atmen, die Erde, auf der wir stehen, das Wasser, das wir trinken.« Früher hat Esther mal Naturwissenschaften unterrichtet, achte Klasse, aber das ist Jahre her.
    »Lernt ihr eigentlich gar nichts in der Schule?« Roger blättert hektisch in seinen Skipisten . Mysteriöserweise, hat Faith bemerkt, ist Roger ziemlich braun gebrannt.
    »Ihr Vater könnte ihnen ja jederzeit etwas beibringen«, sagt Esther. »Er arbeitet an einer Schule.«
    »Nicht als Lehrer«, sagt Roger. »Aber touché.«
    »Was heißt ›touché‹?«, sagt Jane und rümpft die Nase.
    »Das ist ein Begriff, der hat was mit Fechten und Florett zu tun«, sagt Faith. Sie mag die beiden Mädchen sehr und würde Roger am liebsten eine knallen, dass er so sarkastisch mit ihnen spricht.
    »Was ist Florett?«, fragt Marjorie.
    »Das ist eine Stadt in Arkansas, wo künstliche Blumen hergestellt werden«, sagt Roger. »Florett, Arkansas. Es liegt in der Nähe von Crossett.«
    »Gar nicht wahr«, sagt Faith.
    »Na, dann sag du’s ihnen«, sagt Roger. »Du weißt doch alles. Du bist die Anwältin.«
    »Florett ist eine Art Schwert«, sagt Faith. »Aber eins zum Spielen. Wenn damit gekämpft wird, gibt es keine Toten. Es macht Spaß.« Sie verachtet Roger in

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