Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
Vom Netzwerk:
versteh schon, was Jack an Ihnen findet. Alles Gute.«
    Um sieben, als die Mädchen aus ihrem Mittagsschlaf erwachen und alle auf einmal hungrig sind, bietet Faiths Mutter an, die beiden feindlichen Indianer zu einer Pizza einzuladen und dann auf die Eisbahn, während Roger und Faith sich die Smorgasbord-Coupons in der Jagdhütte teilen.
    Sehr wenige Abendessensgäste haben den langen, schroff beleuchteten und ziemlich sauer riechenden Saal Tirol gewählt. Die meisten Gäste sind draußen und warten auf den allabendlichen Lichterumzug, bei dem Mitglieder der Skiwacht mit brennenden Fackeln den Könner-Hang herunterfahren. Das ist ein Moment voller Schönheit, aber es dauert, bis er losgeht. Ganz oben auf dem Hügel ist eine riesige norwegische Tanne in der Julfest-Tradition mit Lichtern geschmückt worden, genau wie in der unwahren Version von Faiths Geschichte. All das kann man vom Saal Tirol aus durch ein großes Panoramafenster sehen.
    Faith mag nicht mit Roger essen, der von seinem Glühwein und einem Nickerchen verkatert ist. Da könnte es leicht zu einem Gespräch kommen, das sie womöglich unpassend findet; irgendetwas über ihre Schwester, die Mutter der Mädchen – Rogers Immer-noch-Frau. Wo Faith doch alles versucht, um die Weihnachtsstimmung aufrechtzuerhalten. Liebe deinen Nächsten usw.
    Roger, das weiß sie, kann sie nicht leiden, beneidet sie wahrscheinlich und findet sie zugleich attraktiv. Einmal, vor einigen Jahren, hat er ihr anvertraut, dass er sehr viel Lust hätte, sie so lange zu bumsen, bis sie platt auf der Bereifung wäre. Er war betrunken, und Daisy hatte vor kurzem Jane bekommen. Faith fand einen Weg, nicht ausdrücklich auf sein Angebot zu reagieren. Später teilte er ihr mit, er halte sie sowieso für eine Lesbe. Die Idee, sie das wissen zu lassen, muss er ziemlich gut gefunden haben. Schon Spitzenklasse, dieser Roger.
    Der lange, hallige Speisesaal hat einander kreuzende Deckenbalken, die pink und hellgrün und lila gestrichen sind, ein Muster, das anscheinend was mit Bayern zu tun hat. Lange grün gestrichene Tische mit Plastikklappstühlen in Pink und Lila sollen lockere gute Laune befördern, Familienspaß. Irgendwo anders in der Jagdhütte, da ist sich Faith sicher, gibt es besseres Essen, wo man nicht mit Coupons bezahlt und nichts pink oder lila ist.
    Faith trägt einen glänzenden schwarzen Bodysuit aus Lycra, über den sie ihre Lodenknickerbocker und die norwegischen Socken angezogen hat. Sie sieht umwerfend aus, glaubt sie jedenfalls. Mit jedem anderen als Roger würde das Spaß machen oder zumindest brüllkomisch sein.
    Roger sitzt auf der anderen Seite des langen Tisches, zu weit weg, um sich ungezwungen zu unterhalten. In einem Saal, der ohne weiteres fünfhundert Seelen fassen würde, sitzen vielleicht fünfzehn verstreute Leute beim Abendessen. Niemand ist in Familienstärke zu Tisch gekommen, alles nur Singles und Paare. Junge Angestellte mit Papierhütchen stehen kläglich wartend hinter dem langen Smorgasbord-Warmhaltetisch. Metallische Heizlampen mit orangefarbenen Strahlen sorgen gnadenlos dafür, dass die Prime Rib, bei der sich Roger ordentlich bedient hat, restlos durch ist. Faith hat nur ein paar grüne Salatblätter ausgesucht, ein Scheibchen Rote Bete, zwei Öhrchen gelben Mais und keine Salatsoße. Der saure Geruch im Saal Tirol macht Essen praktisch unmöglich.
    »Weißt du, was ich befürchte?«, sagt Roger und sägt mit einem ulkig kleinen Messer um ein Dreieck aus grünlich grauem Roastbeef-Fett herum. Sein Tonfall klingt, als würden Faith und er hier oft essen und setzten lediglich ein früheres Gespräch fort, als wäre ihr Verhältnis zueinander von etwas anderem als absoluter Verachtung geprägt.
    »Nein«, sagt Faith, »was?« Roger hat es, wie ihr auffällt, hingekriegt, seinen roten Smorgasbord-Coupon zu behalten. Die Regel besagt, dass man seinen Coupon in das Körbchen bei den Grissini legt. Der schlaue Roger. Warum, fragt sie sich, ist Roger eigentlich so braun gebrannt?
    Roger lächelt, als hätte das, was er befürchtet – was auch immer es ist –, eine schlüpfrige Seite. »Ich befürchte, dass Daisy beim Entzug so grundüberholt wird, dass sie alles vergisst, was passiert ist, und wieder verheiratet sein will. Mit mir, meine ich. Verstehst du?« Roger kaut beim Sprechen. Er möchte gern aufrichtig wirken, sein Lächeln ist ernsthaft, flehentlich, leer. Das ist der ausgleichende Roger. Der geständige.
    »So weit wird es wohl nicht

Weitere Kostenlose Bücher