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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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kommen«, sagt Faith. »Das hab ich so im Gefühl.« Sie möchte ihren fragmentarischen Salat nicht länger sehen. Sie hat keine Essstörung und könnte auch nie eine kriegen.
    »Vielleicht nicht.« Roger nickt. »Ich würde allerdings gern ziemlich bald die Schülerberatung hinter mir lassen. Etwas Neues anfangen. Ein neues Kapitel aufschlagen.«
    In Wahrheit sieht Roger nicht übel aus, nur bedrückend ebenmäßig: kleines Kinn, kleine Nase, kleine Hände, kleine gerade Zähne – nichts ist ungewöhnlich, nur dass seine braunen Augen zu eng beieinander stehen, als hätte er ukrainische Vorfahren. Daisy hat ihn – sagte sie – nur wegen seinem erschreckend großen Schwanz geheiratet. Daran entscheide sich doch – ihrer Ansicht nach –, ob eine Ehe scheitere oder nicht. Selbst wenn alles andere den Bach runterginge, das würde immer standhalten. Vince, teilte sie mit, habe einen noch größeren. Ergo. Genau dieser Suche hatte Daisy ihr Leben gewidmet. Das war es, nicht die Uni.
    »Was willst du denn genau als Nächstes machen?«, sagt Faith. Sie denkt gerade, wie nett es wäre, wenn Daisy tatsächlich aus dem Entzug käme und alles vergessen hätte. Die Rückkehr zu dem Zustand, als die Dinge noch irgendwie liefen, erscheint einem oft als gute Lösung.
    »Na ja, wahrscheinlich klingt es verrückt«, sagt Roger kauend, »aber es gibt so eine Firma in Tennessee, die Flugzeuge verschrottet. Da steckt eine Menge Geld drin. Ich denk mir, so ist auch das Filmgeschäft in Gang gekommen. Mit der verrückten Idee von irgendeinem Spatzenhirn.« Roger stochert mit der Gabel in einem Makkaronisalat. Ein einzelnes schwedisches Fleischbällchen ist auf seinem Teller verblieben.
    »Das klingt gar nicht verrückt«, lügt Faith, dann wirft sie einen sehnsüchtigen Blick auf das Smorgasbord-Büfett. Vielleicht hat sie ja doch Hunger. Aber nennt man jetzt den Tisch mit dem Essen Smorgasbord, oder wenn man es isst?
    Roger hat, wie ihr auffällt, beiläufig seinen Essenscoupon in die Tasche gesteckt.
    »Und, meinst du, das wirst du machen?«, fragt Faith. Sie bezieht sich auf den genialen Plan, mit dem Ausschlachten großer Düsenflugzeuge das große Geld zu verdienen.
    »Wäre schwierig, solange die Mädchen in die Schule gehen«, gibt Roger trocken zu, das nahe Liegende übersehend – dass es gar kein genialer Plan ist.
    Faith schaut wieder weg. Sie merkt, dass keiner in dem großen Saal so gekleidet ist wie sie, was sie daran erinnert, wer sie ist. Sie ist nicht Snow Mountain Highlands (auch wenn sie das einmal war). Sie ist nicht Sandusky. Sie ist nicht mal Ohio. Sie ist Hollywood. Eine Festung.
    »Ich könnte die Mädchen eine Zeit lang nehmen«, sagt sie plötzlich. »Das würde mir wirklich nichts ausmachen.« Sie denkt an die süße Marjorie und die süße, unglückliche Jane, die in ihren süßen Nachthemden und den Affengesicht-Pantoffeln auf der dänischen Couch sitzen und ihr dabei zuschauen, wie sie den Plastik-Gummibaum schmückt. Gleichzeitig denkt sie an Roger und Daisy, die bei einem Autounfall auf ihrem triumphalen Rückweg von der Entzugsklinik ums Leben kommen. Für seine Gedanken kann man nichts.
    »Wo würden sie denn zur Schule gehen?«, sagt Roger, den etwas so Unerwartetes hat munter werden lassen. Etwas, das ihm gefallen könnte.
    »Wie bitte?«, sagt Faith und wirft Roger, dem großschwänzigen Roger mit den eng zusammenstehenden Augen, ein zweites Filmstarlächeln zu. Sie hat sich von dem Gedanken an seinen passenden Tod ablenken lassen.
    »Ich meine, äh, wo würden sie zur Schule gehen?« Roger blinzelt. So munter ist er.
    »Ich weiß nicht. Hollywood High wahrscheinlich. Es gibt Schulen in Kalifornien. Ich würde eine suchen.«
    »Da müsste ich mal drüber nachdenken«, lügt Roger entschlossen.
    »Gut, tu das«, sagt Faith. Nun, da sie das gesagt hat, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben, dass sie es je sagen könnte, wird es zu einem Teil der Alltagsrealität. Bald wird sie ein Elternteil von Jane und Marjorie sein. Einfach so. »Sobald du in Tennessee Fuß gefasst hast, kannst du sie zurückhaben«, sagt sie ohne große Überzeugung.
    »Wahrscheinlich würden sie bis dahin nicht mehr zurückkommen wollen«, sagt Roger. »Tennessee würde ihnen ziemlich öde vorkommen.«
    »Ohio ist auch öde. Das mögen sie.«
    »Stimmt«, sagt Roger.
    Keiner hat bei der Entwicklung dieses neuen Arrangements an Daisy gedacht. Nun ist Daisy, die Mutter, auch das nächste kleine Stückchen Weges anderweitig

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