Tag auf den anderen in Luft aufgelöst, ich habe mir verwundert die Augen gerieben und mich auf den Weg nach Hamburg gemacht.«
Stella überlegte. Wo waren ihre Gefühle für Julian geblieben? Es hatte unendlich viele Tage gegeben, an denen sie sich nichts sehnlicher gewünscht hätte, als dass diese quälende Sehnsucht, das ständige um ihn Kreisen, diese Fixierung auf ihn endlich aufhören würde. Wie bei Leonie – einfach so, über Nacht. Ohne dass sie selbst viel dazu tun musste.
»Denkst du gerade an Julian?«, fragte Leonie mitfühlend und streichelte Stella flüchtig übers Haar, als sie aufstand, um eine weitere Flasche Wasser zu holen. »Du hattest auch Pläne mit ihm, oder?«
Bevor Stella diese Frage beantworten konnte, vernahm sie im Flur erneut die Stimme der mysteriösen Frau:
»Bin gleich wieder da!«, rief sie und klackerte mit ihren Absätzen die knarrende Holztreppe hinunter.
»Seine Mutter ist das jedenfalls nicht«, bemerkte Leonie trocken. »Dazu klingt ihre Stimme eindeutig zu jung. Was meinst du? Wollen wir uns nachher einfach mal auf die Lauer legen und nachsehen, wer sich da bei Robert eingenistet hat?«, fragte sie verschmitzt.
»Und wie sollen wir das anstellen?«
»Ganz einfach, in dem Moment, wo wir sie die Treppe hinaufkommen hören, bringst du mich an die Tür und wir unterhalten uns noch einen Moment, als hätten wir irgendetwas Wichtiges vergessen. Und bei der Gelegenheit schauen wir sie uns an. Immerhin ist sie zu Gast in unserer Villa, also muss sie sich eigentlich vorstellen, wenn sie nicht unhöflich sein will.«
»Aber sie hat gesagt, dass sie gleich wieder zurück ist«, protestierte Stella, obwohl ihr Leonies Vorschlag gefiel. »Und ich habe keine Lust, dass du schon gehst, wo wir hier gerade so nett zusammensitzen!«
»Ich kann ja nachher wiederkommen«, grinste Leonie. »Heimlich! Ich schleiche mich auf Zehenspitzen wieder nach oben, und dann hecheln wir die Dame gründlich durch! Du wirst sehen, wir werden kein gutes Haar an ihr lassen …«
Eine halbe Stunde später saßen Leonie und Stella wieder am Esstisch, und es herrschte betretenes Schweigen.
»Sosehr ich mir auch Mühe gebe, ich kann leider überhaupt nichts Blödes an ihr finden«, sagte Stella schließlich.
Leonie nickte betrübt.
»Stimmt! Sie hat sich artig vorgestellt und uns sogar angeboten, zum Essen mit hinüberzukommen …«
»Und zu allem Überfluss sieht sie auch noch super aus!«, fügte Stella seufzend hinzu.
»Na ja, zumindest wenn man auf den Typ Angelina Jolie steht – und welcher Mann tut das schon?«, fragte Leonie ironisch und spielte mit ihrer Serviette.
»Tja, ich schätze, da hat Robert einen großen Fang gemacht. Diese Marina scheint wirklich nett zu sein und sorgt sich offensichtlich um sein leibliches Wohl!«
Misstrauisch hatte Stella den Inhalt der durchsichtigen Plastiktüten beäugt, mit denen Marina im Flur gestanden hatte, offensichtlich Ergebnis eines Beutezugs beim Türken um die Ecke. Die beiden Flaschen Rotwein, ihr erotischer Schmollmund und die endlos langen Beine hatten ihr endgültig den Rest gegeben.
In diesem Augenblick klingelte es an der Tür, und für einen kurzen Moment befürchtete Stella, es könnte Marina sein, die ein bestimmtes Gewürz für das geplante Zehn-Gänge-Candle-Light-Dinner mit Robert vergessen hatte. Doch es war Nina, die von ihrem Treffen mit Ophelia Winter zurückgekehrt und in Plauderstimmung war.
Während sie munter vor sich hin brabbelte, rang Leonie mit sich, ob sie ihr reinen Wein in Bezug auf Asterdivaricatus einschenken sollte. Es gelang ihr jedoch nicht, Nina in ihrem Redeschwall zu unterbrechen.
»Ihr glaubt nicht, was heute passiert ist«, strahlte sie und sah aus, als hätte sie das große Los gezogen.
»Ophelia Winter will dich heiraten?«, fragte Stella und freute sich, dass es Nina offensichtlich auf Anhieb gelungen war, ihre anstrengendste Kundin zu zähmen.
»Nein, viel besser! Tausendmal besser, um genau zu sein!«
Leonie schwante nichts Gutes …
»Asterdivaricatus ist wieder aus der Versenkung aufgetaucht und möchte sich tatsächlich mit mir treffen! Was sagt ihr dazu?«
Triumphierend blickte Nina in die Runde, Stella und Leonie wagten nicht, einander in die Augen zu sehen. Aber davon merkte Nina nichts, sie war zu begeistert von der E-Mail, die sie soeben in ihrem Posteingang vorgefunden hatte.
Von:
[email protected]An:
[email protected]Betreff: Was soll ich sagen?
Liebe Nina,
ich weiß