Eine von Zweien (German Edition)
der
Wimper zu zucken. Was interessierte mich Lukas’ Erfolg? Sollte ich mich jetzt
für ihn etwa noch freuen?
„Lukas, tzzz , ja, der hat immer
gemacht, was er wollte, das durfte ich am eigenen Leib erfahren.“
Eigentlich hatten wir schon alles gemeinsam geplant und er
hat es mit Füßen getreten. Einen Tag vor der Zeugnisübergabe ist er zu mir
gekommen und sagte, wir müssten reden. Dumm und unerfahren wie ich war, dachte ich, wir würden über unsere Pläne
sprechen. Nein, er hat mir mitgeteilt, dass er nach Australien gehen würde.
Alleine! Er hätte dort Verwandte. Er würde dort erst mal anfangen und dann von
Australien aus die Welt bereisen.
Ich war geschockt, ich schrie ihn an: ich würde ihn nie wieder sehen wollen...
und er sollte auch nicht versuchen, mich nach der Reise zu kontaktieren, weder
per E-mail , noch über meine Familie. Ich wollte mit
so einem Menschen nichts mehr zu tun haben. Auf keinen Fall! Ich gab auch
meiner Familie die Anweisung, mir nie wieder etwas über ihn zu erzählen und von
da an hütete ich mich, jemals wieder jemandem zu trauen. Er hat mich einfach
sitzen lassen. Es war das letzte Mal, dass wir geredet haben. Anfangs hatten alle
immer mal vorsichtig versucht, mir Informationen zukommen zu lassen, aber das
gewöhnte ich ihnen ganz schnell ab. Ich hatte ein Gespräch mit meinem Vater, in
dem er mir vorschlug, ich sollte doch eine kleine Auszeit von allem nehmen. Das
klang gut. Einfach weg von der ganzen Demütigung! Er arrangierte bei einem
Partner ein Praktikum in einer Firma für Wirtschaftsprüfung in Berlin. Alles,
womit ich bis dato noch nicht in Kontakt gekommen war, alles was mich nicht an
Lukas und mein vorheriges Leben erinnerte, war willkommen. Ich ging nach
Berlin, machte das Praktikum und schrieb mich an der Uni ein. Ich verbannte
alles aus meinem Gedächtnis, was mit Lukas zu tun hatte und das war quasi mein
ganzes Leben in Nürnberg, dazu gehörten auch unsere Freunde. Ich wollte mich
nie wieder an ihn erinnern und vor allem nicht an irgendwelche bescheuerten
Versprechen, die ich mit ihm geschlossen hatte, mit jemandem, dem man nicht
vertrauen konnte. Was brachte es, diese Erinnerungen nun wieder hochzuholen.
Als ich aufblickte, merkte ich, wie Beth geduldig wartete. Sie hielt mir eine
Taschentuchpackung hin. Ich hatte diesen Teil meiner Erinnerungen gut
verschlossen gehabt. Jetzt kamen die ganzen Gefühle hoch. Mir liefen ungehemmt
die Tränen über die Wangen und ich konnte sie einfach nicht stoppen. Ich hasste
es, wenn ich keine Kontrolle über meine Tränen hatte. Es machte mich immer
nervös, wenn ich mich oder eine Situation, nicht unter Kontrolle hatte. Als ich
aufstehen wollte, um uns etwas zu trinken zu holen und mir etwas Luft zu
schaffen, hielt Beth mich auf. Ich hoffte, Beth hätte Erbarmen und hätte mir
eine Verschnaufpause gegönnt, aber nicht die liebe Beth. Sie hatte schon gleich
die nächste Frage parat.
„Wo wir gerade an dieser Stelle sind ich habe noch eine
Frage: was war das letzte Bild, das du gemalt hast? Ich frage es dich jetzt,
weil ich befürchte, dass du alles wieder in die Kiste verpackst, mit Ketten
verschließt und in tiefste Tiefen versenkst.“
Jetzt war auch alles egal, ich konnte ebenso gut versuchen,
mich zu erinnern. Und dann sah ich es plötzlich genau vor mir. Blau, gelb -eine
schemaartige Welt und dann unsere beiden Gesichter. Es sollte unseren Vorhaben
darstellen und ich wollte es Lukas nach der Zeugnisausgabe überreichen. Ich
hatte mir all die Mühe gemacht, hatte es in seinen Lieblingsfarben gehalten.
Ich wollte es ihm symbolträchtig überreichen. Aber es kam nie dazu. Die Tränen bahnten sich mit
einer ungeahnten Kraft ihren Weg. Ich hatte keine Chance, ich griff zu einem
Taschentuch. So ein Mistkerl! Auch nach so vielen Jahren konnte mich allein der
Gedanke an die Situation rasend machen.
Zum Glück ließ nun auch Beth Gnade walten.
„Es ist ok, ich habe gespürt, was du gedacht hast, du musst
es nicht noch einmal sagen.“
Ich war Beth so dankbar. Ich hatte auch keine Kraft mehr,
meine Erinnerungen laut auszusprechen. Ich hatte nie in meinem Leben wieder
dieses Gefühl gehabt. Mein Inneres hatte sich zusammengezogen, bis ich nicht
mehr atmen konnte. Alles verkrampfte sich, ich dachte, ich werde niemals wieder
normal atmen können. So hatte ich damals beschlossen, mich für immer vor diesem
Gefühl zu schützen. Ich würde mir das nie wieder antun lassen. Ich entschied
mich also für das Praktikum.
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