Eine von Zweien (German Edition)
meines Gehirns vergraben. Diesmal hatte
ich von Beth die Aufgabe bekommen, sie zu durchleben. Jede Einzelne. Ich sollte
sie sogar aufschreiben, damit ich sie mir bewusst machte. Eigens dafür hatte
ich von Ihr ein kleines Heft mit Stift bekommen, das ich immer in meiner
Handtasche mit mir tragen sollte. Alle bedeutenden Erinnerungen. Was ich mit
dem Bahnhof verband, was auf den altenbekannten Wegen, den alten Plätzen zu mir
kam, alles sollte ich mir merken, oder es aufschreiben. Ich wusste, was sie von
mir wollte, aber ich würde nicht alles aufschreiben. Ich würde es mir schon
merken. Das müsste reichen. Es gab für mich keinen Grund, alles ganz genau zu
behalten, nachdem ich mich erinnert hatte. Die wage Erinnerung sollte reichen.
Sie hatte auch vor, am späten Freitagabend gemeinsam einen ausgiebigen Erinnerungsspaziergang
zu machen. Ich hatte nonchalant zugesagt, als wir noch in Berlin waren, als
alles noch weit genug weg war. Jetzt, wo ich auf dem Weg zu Beth war, um dann
mit ihr den Zug Richtung Vergangenheit zu besteigen, hätte ich mich ohrfeigen
können für dieses unbedachte Versprechen, das ich ihr einfach so fahrlässig
gegeben hatte. Es war schon schlimm genug, mich der Familie zu stellen. Jetzt
also auch noch meinen Dämonen! Aber Beth war der Meinung, je schneller ich die
Vergangenheit angehe und erforschen würde, umso schneller würde sie mich auch
in Frieden lassen. Es ist gemein, wenn man sich freiwillig auf den Weg macht,
um sich schlecht zu fühlen, in der Hoffnung, sich dann in naher Zukunft sehr
viel besser zu fühlen. Ich hoffte nur inständig, dass ich auch an den Punkt
kommen würde, an dem sich alle Anstrengungen auszahlen. Als ich auf den
Bahnsteig kam, konnte ich Beth bereits mit unseren Koffern sehen. Ich war froh,
dass ich die Reise nicht alleine antreten musste. Und ich war froh, dass wir den
Zug gewählt hatten. Das gab mir noch eine längere Schonfrist, bevor alles
losgehen würde. Der Zug fuhr ein, wir setzten uns auf unsere Plätze und machten
es uns gemütlich.
Nach fast fünf realen und zehn gefühlten Stunden, kamen wir
am Hauptbahnhof in Nürnberg an. Schon als der Zug einfuhr und die Umgebung mir
langsam bekannt vorkam, breitete sich ein gemischtes Gefühl in meiner
Magengegend aus. Einerseits krampfte sich mein Körper zusammen, andererseits
war ich sehr gespannt, wie der Besuch sich entwickeln würde. Mit Beth an meiner
Seite hatte sich schon so einiges verändert. Ich war somit auch gespannt,
zugleich angespannt, wo und auf was sie hier Einfluss nehmen würde. Wir stiegen
aus dem Zug und ich musste in meinem Brustkorb erst mal wieder Raum schaffen.
Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus. Dann ging es mir schon besser. Ich
bestand darauf, den Hauptausgang zu nehmen. Vorbei an den ganzen neuen und
alten Geschäften. Es hatte sich hier so vieles und doch eigentlich gar nichts
verändert. Man merkte aber sofort, wir waren nicht mehr in Berlin. Hier war
alles ein wenig entspannter. Auch schon auf dem Bahnhof. Als wir durch den
großen Torbogen liefen, erinnerte ich mich daran, wie ich als Kind in dem Bogen
stand und alles so riesig und so schön fand. Auch diesmal blieben wir kurz
stehen und machten abwechselnd einen Ton, der zu uns zurückhallte. Wir grinsten
uns gegenseitig selig an, bevor wir durch die Menschen um uns herum gezwungen
wurden, weiterzugehen. Da kam mir ein Gedanke, der schon viel früher hätte
kommen müssen! Beth, wo würde eigentlich Beth übernachten, während unseres
Aufenthalts? Ich hatte das Thema nie angesprochen, ich hatte es total
vergessen. Auch sie hatte nicht einmal was dazu gesagt. Sie muss es auch total
vergessen haben. Ihre Worte
unterbrachen meine Gedanken.
„Komm, wir gehen zu den Taxis. Lass uns gleich das da drüben
nehmen. Der sieht nett aus“, sagte Beth und riss mich aus meiner Trance. Ich
musste sie darauf ansprechen, aber erstmal, was hatte sie gerade gesagt? Der
sieht nett aus?
„Beth, suchst du Taxis nach der Nettigkeit der Fahrer aus?“
„Natürlich. Hast du Lust, Zeit mit jemandem zu verbringen,
der dich nur anmuffelt? Also ich nicht und hier habe ich ja die Wahl.“
Sie hatte recht, das klang sehr überzeugend. Aber zurück zu meinen
Gedanken. Ok, ich musste es ansprechen, es war mir sehr unangenehm, dass ich es
bis jetzt versäumt hatte, aber es half nichts. Also, raus mit der Sprache.
„Ehh, Beth, wo übernachtest du eigentlich hier? Ich hatte
komplett vergessen, mich bei dir zu informieren. Oder mich für
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