Eine von Zweien (German Edition)
ich entschloss erst wieder in München etwas kürzer zu treten.
„Dann natürlich mit Sahne! Sonst brauchst du gar nicht erst
damit anfangen!“ Martha zwinkerte mir zu.
„Natürlich mit Sahne!“ Zu der Schokolade bestellte ich noch
einen Karottenkuchen und schaute in die Runde. Alle hatten ihre Augen auf mich
gerichtet. „Was wollt ihr denn wissen? Am besten, ihr stellt mir Fragen und ich
beantworte sie. Ich glaube das ist besser, als wenn ich euch alles
chronologisch erzähle. Wer will anfangen?“ Ich versuchte, die Stimmung für mich
entspannter zu gestalten. Es war zu erwarten, dass ich jetzt fünfzehn bis
zwanzig Minuten neugierige Fragen beantworten musste und dann sicher das Thema
durch sein würde. Also war Angriff auch hier die beste Verteidigung.
Tatjana war die erste die das Wort ergriff.
„Was ist passiert, warum hat sich alles verändert? Ich
erinnere mich noch, zur Abi-Verleihung bist du mit deinen Eltern gekommen. Du
hast diszipliniert mitgemacht, du hattest keinen Spaß, du hast kein Wort mit
uns oder Lukas gesprochen, uns nur zugenickt und dann, als es vorbei war, warst
du schon weg. Auch Lukas hat uns nichts erzählt. Wir haben dann auf der
Abi-Fahrt erfahren, dass er alleine nach Australien gehen wird. Dich haben wir
nicht mehr erreicht. Du kamst auch nicht mit auf die Fahrt. Alles passierte von
einem Tag auf den anderen. Wir fühlten uns wie Zuschauer in einem falschen
Film. Wir wussten immer alles voneinander und plötzlich wussten wir nichts
mehr. Wir waren sehr verletzt. Wir haben von heute auf morgen eine unserer
besten Freundinnen verloren. Was ist damals passiert, was war denn so
dramatisch, dass du einfach verschwinden musstest? Nicht mal deine Eltern haben
uns Auskunft gegeben! Sie sagten, wir sollen dir Zeit geben, du würdest dich
sicher bald melden. Aber nichts passierte! Und egal, wann wir damals versuchten
mit Lukas zu sprechen, er gab uns keine Informationen und sagte immer, das
müsstest du uns erzählen, es wäre deine Wahl was du uns erzählst.“
Nachdem Tatjana fertig war, schaute sie in die Runde und
holte sich bestätigendes Nicken von den anderen dreien ab. Es war
offensichtlich nicht das erstmal, dass über diese Thema in der Runde gesprochen
wurde. Ich hatte einen ganz trockenen Mund, wusste aber, ich musste mich jetzt
erklären und laut sagen, wie, warum und damals passiert ist. Ich begann mit der
Planung, die Lukas und ich ja schon Monate vor unserem Abschluss begonnen
hatten. Dann kam ich zu dem Gespräch am Abend vor der Verleihung und zu dem
Punkt, an dem er all meine Hoffnung zerschlug und mir gleichzeitig das Herz
herausgerissen und zerstört hatte. Wie ich schluchzend in die Arme meines
Vaters fiel und er mir geraten hatte, ich solle in eine andere Stadt gehen und
erst mal alles hinter mir lassen. Wie er mir half, eine Wohnung und ein
Praktikum in Berlin zu bekommen und wie sich alles von da an entwickelte.
„Ich hatte das Gefühl, ich müsse unbedingt alles hinter mit
lassen, was mich an Lukas, und meine Träume, die ich mit ihm gesponnen hatte,
erinnerte. Euch habe ich auch dazugezählt. Im Unterbewusstsein wusste ich, ihr
würdet mich von dem Weg, den ich zu gehen bereit war, abhalten. Ich war damals
davon überzeugt, dass ich einen
sicheren Weg bräuchte, einen der keine Überraschungen für mich bereithielt,
sondern der ganz genau vorhersehbar war. Genauso vorhersehbar wie erwartet war
der Weg dann auch, bis Anfang letzter Woche, da fing alles an, sich zu verändern.
Es fühlt sich an, als ob ich langsam erwache und merke, dass ich an einem Punkt
angekommen bin, an den zu gelangen ich nie vorhatte. Jetzt muss ich schauen,
was ich daraus mache. Es tut mir wirklich leid, dass ich euch so im Stich
gelassen habe. Aber ich hatte solche Schmerzen in mir, ich konnte mich nur auf
mich konzentrieren. Es war mir nicht möglich, zu sehen, dass ich anderen
vielleicht auch Unrecht tue. Dass ich vielleicht drauf und dran war, andere zu
verletzen. Ich hoffe, ihr versteht mich und könnt mir verzeihen.“
Als ich mit meinen Ausführungen fertig war, blieb es noch
eine Weile still am Tisch. Es war einfach nur still. Es schien, als ob jede
kurz in die gemeinsame Vergangenheit zurückgekehrt war, um zu schauen, an was
sie sich noch genau erinnerte und um nochmal nachzufühlen. Die Luft stockte und
nichts bewegte sich. Alle schauten nach unten oder aus dem Fenster, waren in
sich gekehrt. Ich hoffte, dass die vier mich verstehen und mir verzeihen
konnten. Ich
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