Eine von Zweien (German Edition)
versucht.
Alles, was ich mir damals erdenken konnte. Aber es hat nichts genützt. Du warst
verschwunden.“
Das war der Moment, in dem er seinen Blick senkte. Nach einer
kleinen Pause, in der ich unfähig war, etwas zu sagen, fuhr er fort. Er schaute
mich wieder an.
„Eine Sache die ich mir vorwerfe ist, dass ich nicht bei der
Abi-Verleihung zu dir kam, um dir alles zu erklären, egal, was deine oder meine
Eltern dazu gesagt hätten. Ich habe es nicht mal versucht und habe es immer
bereut. Ich dachte immer, ich würde später eine Chance bekommen, es dir zu
erklären. Ich bin dann ins Flugzeug gestiegen und hoffte, dass sich alles
gelegt haben wird, wenn ich wieder zurückkomme, aber du warst nicht mehr
aufzufinden. Schon verrückt, in unserem Informationszeitalter... Facebook,
Google, ich konnte dich einfach nicht finden. Ich war auf den verrücktesten
Ausstellungen, in der Hoffnung, etwas über dich zu erfahren, aber niemand
kannte dich. Keiner kannte deinen Namen oder hatte von deiner Kunst gehört. Ich
hatte dich verloren. Ich habe aber nie aufgehört zu schauen. Wenn auf der
Straße Beth gerufen wurde, habe ich mit Herzklopfen umgedreht. Aber du warst es
nie.“
Er machte eine Pause, um zu atmen und um die Fassung wieder
zu erlangen. Er tat mir leid, er tat mir richtig leid. Ich wollte ihn hassen
und richtig unmöglich finden, aber er tat mir einfach leid. Nicht er hatte mich
im Stich gelassen, ich hatte ihn im Stich gelassen. Ich hatte uns weggeworfen.
Und ich wusste es all die Zeit nicht mal. Ich war perplex und sprachlos. War
das möglich? Konnte das sein? Ich merkte, wie mir die Tränen kamen, ich
versuchte sie zurückzuhalten. Aber ich wusste, ich hatte verloren, es hatte
noch nie geklappt, auch nicht als kleines Mädchen, wenn die Tränen wollten,
dann konnte ich sie nicht mehr aufhalten. Sie füllten meine Augen bis klein
Platz mehr da war, dann sie bahnten sich ihren Weg über meine Wangen.
„Wo warst du? Wo bist du hingegangen?“ fragte er mit
brüchiger Stimme. Nach all den Jahren war das Thema auch für ihn noch
schmerzhaft. Verständnis und Zuneigung für ihn erfüllten mich.
Mit zitternder Stimme beschrieb ich meinen Weg, den ich bis
zu diesem Zeitpunkt hinter mich gebracht hatte, inklusive der letzten Woche.
Ich konnte selber nicht glauben, dass ich ihm sogar von Beth, meiner Beth,
erzählte. Ich ließ kein Detail aus. Erzählte ihm, wie die Skizze auf sein
Papier gekommen war und wie sehr ich ihn für mein ganzes emotionsloses Leben
verantwortlich gemacht hatte. Wie ich mir wegen unserem letzten Gespräch
geschworen hatte, nie wieder, nur über meine Leiche, mich jemals wieder
jemandem so zu öffnen. Also niemanden je wieder die Chance geben würde, mich so
zu verletzten, wie er es getan hatte. Ich sagte ihm dann, wie Beth mich langsam
wieder zurückbrachte und das alles in nur fast zwei Wochen. Und das heute der
Höhepunkt erreicht war. Das ich jetzt auch verstand, warum sie sagte, ich
bräuchte meine Energie. Als ich mit meinen Ausführungen fertig war, liefen auch
ihm die Tränen über die Wangen. Er ging um seinen Tisch herum und setzte sich
in seinen Stuhl. Eine ganze Weile sagte keiner von uns etwas. Ich, für meinen
Teil, musste erst mal verarbeiten, was ich gerade erfahren hatte. Ich hatte
mein Leben aus Verwirrung verhunzt. Gut, verhunzt war vielleicht ein wenig
übertrieben, aber ich hatte mir selbst strenge Regeln auferlegt, die mich
hinderten, ausreichend gelebt zu haben. Ich hätte nicht nur Beths Weg gehen
können, sondern noch einen ganz anderen, einen gemeinsamen mit Lukas. Mit
Sicherheit ein erfülltes, glückliches Leben ohne Trauma. Aber ich konnte an der
Vergangenheit nichts mehr ändern. Ich fand mich ganz ok, ich war mit meinem
Leben zufrieden gewesen bis vor knapp zwei Wochen und jetzt wurde es sogar
richtig gut. Ich hatte alle Chancen und musste nur aufpassen, mir merken, dass
wenn ich aus Verletzung dickköpfig werden sollte, das es keine so gute Idee war.
Ich wusste nicht was Lukas´ Gedanken waren und wo er am Ende seines
Gedankenlabyrinths ankommen würde. Und was brachte es, wenn wir uns beide jeder
für sich uns ganz allein zerfleischten? Aber vielleicht zerfleischte er auch
nur mich und fing an, mich zu hassen. Mein Kopf machte mich verrückt mit den
ganzen „Was-wäre-wenn Gedanken“. Er war derjenige, der das Schweigen brach. Zum
Glück! Er hatte nichts von seinem Charme eingebüßt, in all den Jahren. Im
Gegenteil! Er war mit Sicherheit ein
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