Eine von Zweien (German Edition)
bekommen. Im Moment
konnte ich sowieso nichts tun. Ich wollte die Fahrt genießen, schaute aus dem
Fenster und konzentrierte mich auf die vorbei ziehenden Landschaften. Nach
einer Weile konnte ich mich immer mehr daran erfreuen. Normalerweise hatte mich
Zugfahren genervt. Aber ich war innerlich jetzt viel entspannter als sonst.
Eingeschlossen in Stahl und einfach nur warten müssen, bis man endlich das Ziel
erreicht hatte, machte mich eigentlich verrückt. Gerade konnte ich einfach
genießen und mich von meinen Erinnerungen an die letzte Woche in München davon
tragen lassen.
16
Als ich endlich ankam, klingelte ich sofort bei Beth. Sie
antwortete nicht. Sie hatte mich sicher nur nicht gehört. Ich schloss die
Haustür auf und hievte meinen Koffer die paar Stufen hinauf. Dann klingelte ich
Sturm bei ihr. Aus Zufall sah ich, dass kein Name mehr auf dem Klingelschild
stand. Es musste abgefallen sein. Hatte Beth das nicht gemerkt? Mein Klingeln
wurde immer intensiver. Sie musste es doch hören. Sie hatte gesagt, sie wüsste
schon, wann ich wiederkäme. Sie musste da sein. Sie würde doch nicht einfach so
verschwinden! Und sie hatte doch gesagt, dass wir uns in Berlin wiedersehen
würden. Sie hatte sogar gesagt, dass sie auf mich warten würde. Ich nahm meinen
Finger nicht mehr von der Klingel. Jede Sekunde würde sie die Tür öffnen. So
musste es sein! Nichts Anderes war möglich! Ich höre Schritte von oben herunter
kommen, war aber zu beschäftigt mit dem Klingen, als dass ich sie beachtet
hätte. Plötzlich riss mich eine Stimme aus dem angestrengten Klingeln.
„Sie brauchen nicht klingeln, die Dame wird Ihnen hier nicht
mehr die Tür öffnen. Sie ist ausgezogen.“
Ich drehte mich um und schaute Frau Richter an. Mein Blick
muss so irritierend gewesen sein, dass auch Frau Richter nichts mehr dazu zu
sagen hatte. Sie ging an mir vorbei und tätschelte meinen Arm.
„Machen sie sich nichts daraus, Kindchen. Freunde findet man
immer wieder, selbst in meinem Alter. Erst letztens habe ich wieder eine nette
Dame beim Spieleabend kennengelernt. Verlieren sie nicht den Mut!“ Und dann war
sie auch schon durch die Tür und verschwunden.
Ich fühlte, wie meine Hoffnung, meine Stärke und mein Wille
in sich zusammensackten. Wie sollte ich das alles ohne sie schaffen? Das war
schier unmöglich! Ich musste malen, ich musste mit Ben sprechen, ich wollte
ihre Meinung zu Lukas wissen. Ich brauchte sie. Ich fühlte mich hundeelend. Ich
schleifte den Koffer zu meiner Tür herüber, schloss sie auf und schob mich samt
Gepäck, über die Schwelle. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und ich fing an
zu weinen. Es waren die ersten Tränen seit einer Ewigkeit. Ich konnte mich
nicht erinnern, je geweint zu haben. Sagen wir, jemals in Berlin geweint zu
haben. Ich versuchte, mich zusammenzureißen und ließ mich an der Wand zu Boden gleiten.
Sie war das Einzige, was mir noch Halt zu geben schien. Unten angelangt, sah
ich auf dem Boden einen Pfeil liegen. Ich erkannte sofort, er war von Beth.
Mein Herz pochte. Vielleicht war sie ja hier. Hoffnung keimte in mir auf. Ich
sprang auf und folgte dem Pfeil. Als ich um die Ecke bog, sah ich indem Zimmer
wo mein Arbeitsplatz stand, ein Atelier aufgebaut mit meinem angefangenen Bild,
das mich herausforderte, es zu beenden.
Es war alles da was ich brauchte, von Farben über Pinsel,
Teppich zum Schutz des Parketts auf dem Boden und da in der Mitte lag ein
Brief. Ich war erleichtert und dankbar. Sie war zwar nicht da, aber sie hatte
mir eine Nachricht hinterlassen. Vielleicht würde sie mir sagen wo sie jetzt
hin war oder noch viel wichtiger, wann wir uns wiedersehen würden. Ich schaute
vom Boden wieder in den Raum. Das alles hatte sie doch ein Vermögen gekostet.
Ich konnte gleich anfangen zu malen. Da stand sogar die kleine Anlage, in die
ich mein Telefon stecken konnte, um Musik zu hören. Sie hatte an alles, an jede
Kleinigkeit, gedacht. Ich nahm den Brief vorsichtig in die Hände. Nein, sie
würde mir nicht sagen, wo sie hin ist. Ich schaute mich nochmals um. Alles war
vorbereitet. Ich konnte mir denken, was darin stehen würde, aber wenn ich es
gelesen hatte, würde es zu Realität werden. Ich wendete ihn hin und her. Beth
hatte auch auf dem Umschlag ihre Note hinterlassen. Überall waren ihre bunten
Fingerabdrücke verewigt. Nur in der Mitte wo „Für Beth von Beth“ stand, waren
keine Abdrücke. Sie wusste also alles. Sie wusste, wen ich getroffen hatte. Sie
musste es
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