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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shalom Auslander
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erschöpfte? Ich nahm die Hefte mit nach Hause und versteckte sie unterm Bett, und als ich fertig war, meiner Mutter bei den Vorbereitungen für den Tag des Jüngsten Gerichts zu helfen, setzte ich mich in meinem Zimmer auf den Fußboden und studierte sie wie die Tora. Eine Zeitschrift hieß Juggs , eine Forum , eine hieß Oui , was ich au-ie aussprach und was wie Avi klang, die Kurzform von Avraham, dem hebräischen Namen für Abraham, unserm Stammvater. Rabbi Napier hatte uns gesagt, Gott habe Abraham einer Prüfung unterzogen, indem er ihm befahl, seinen Sohn auf dem Berg Morija zu opfern. Abraham ging mit Isaak auf den Berg und legte ihn mit dem Rücken auf einen Stein, hinter ihnen die Bäume, über ihnen der Himmel und in Abrahams Hand ein scharfes Messer, das er über den Hals seines Sohnes reckte.
    – Brr, brr, sagte Gott. – Langsam, du Schlächter.
    Das war Abrahams Größe, hatte Rabbi Napier gesagt.
    Mein Isaak war die Pornographie, und ich versagte.
    Einige Tage später war das Haus wieder leer, als ich kam. Ich ging mit den Zeitschriften auf den Betonweg hinterm Haus, woraufhin ich sie dort niederlegte, sie mit Feuerzeugbenzin salbte und in Brand steckte, ein Hardcoreporno-Opfer für den Herrn.
    – Ich werde die gottlose Stadt Sodom vernichten, sprach Gott zu Abraham.
    – Und wenn ich dort fünfzig Gerechte finde?, fragte Abraham. – Willst Du denn die Gerechten mit den Gottlosen umbringen?
    Gott sagte, das wolle Er nicht.
    – Und wenn ich nun fünfundvierzig finde?, fragte Abraham.
    – Tja, hm …
    – Vierzig?
    – Na schön, vierzig. Okay.
    Ich hoffte, Gott war einem kleinen Handel aufgeschlossen. Ich bedeckte das Gesicht mit den Händen, schloss die Augen und wiegte mich vor dem Feuer vor und zurück.
    – Bitte, flehte ich Gott an. – Unterziehe mich noch einmal einer Prüfung. Zweimal oder gar nicht.
     
    Deena beachtete mich nicht weiter. Mir wurde meine Kleidung schmerzlich bewusst.
    Alle coolen Kids trugen Pullover mit einem kleinen Tier auf der Brust – einem Krokodil, einem Tiger, einem winzigen Mann auf einem winzigen Pferd, der im Begriff stand, seinem winzigen Pferd mit seinem winzigen erhobenen Schläger ins Gesicht zu schlagen. Alle trugen sie Bootsschuhe, obwohl nur wenige schon einmal auf einem Boot gewesen waren, und jemand hatte verfügt, ohne es mir zu sagen, dass Velourshemden »in« waren. Ich verfluchte meine Nichtvelourshemden, hasste meine tierlosen Pullover, verabscheute meine Nichtbootsschuhe. Nicht mal meine Kipa stimmte. Alle coolen Kids hatten eine kleine, bunte, gehäkelte Kipa, die nur halb so groß wie meine war, jede kunstvoll gemustert – mit Stufen und Kringeln und dem Logo der New York Yankees, und im Rand war der Name eingewoben. Ich dagegen hatte eine riesige schwarze Samtkipa – keine Stufen, keine Kringel, keine Logos. Ebenso gut hätte ich einen beschissenen Tallit tragen können.
    Eines Tages kam ich nach Hause, ging in die Garage meines Vaters und klemmte meine Kipa in den Schraubstock an der Werkbank. Ich nahm die Ahle vom Lochbrett und stach, den Saum der Kipa hochhaltend, ein halbes Dutzend Löcher in ihr Futter. Ich steckte die Finger in die Löcher, zerrte das Futter in alle Richtungen, bis sie in Fetzen war und der Randbesatz sich in Auflösung befand.
    – Ja, was ist denn damit passiert?, fragte mich meine Mutter, als sie nach Hause kam.
    – Die ist mir weggeflogen, sagte ich. – Ich bin mit dem Fahrrad gefahren.
    – In was denn, fragte sie, – einen Rasenmäher?
    – Wir gehen mal lieber, sagte ich.
    Wir fuhren zu dem Judaica-Geschäft, wo ich sie fand, tief unten in einer Tonne voller Kipas mit den typischen geometrischen Mustern, einige mit dem Davidstern darauf und eine, auf deren Rand Schabbes, Schabbes, Schabbes stand (– Nein, sagte ich zu meiner Mutter, noch bevor sie sie empfehlen konnte): eine hellblaue gestrickte Kipa mit meinem Namen darauf. Mein Name bedeutet »Frieden«, daher taucht er in Judaica-Läden häufig auf: auf Challadecken, Wandzeichen, Tallit-Taschen, Menoras, Sedertellern, Schirmen, Schlüsselanhängern. Dennoch nahm ich dies als weiteres Zeichen von Gott: – Bestehe meine Prüfung , sprach der Herr, – und Deena soll wahrhaftig dein sein.
    – Abgemacht, sagte ich zu Gott. – Ich habe nämlich die Pornos verbrannt.
    Als wir nach Hause kamen, schloss ich mich im Bad ein und posierte in meiner neuen Kipa in dem langen Spiegel, der an der Badezimmertür hing: Drehung nach links, Drehung nach rechts, Hände

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