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Eine wie Alaska

Titel: Eine wie Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Green
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hättest tot sein können.« Er hatte recht, schätze ich. Aber ich war nicht tot.
    »Na ja, vielleicht gehe ich morgen einfach zum Adler und sag Bescheid«, sagte ich.
    »Du tust nichts dergleichen«, zischte er. Er griff nach seinen verknitterten Shorts, die auf dem Boden lagen, und holte ein Päckchen Zigaretten heraus. Er zündete zwei an und reichte mir eine. Ich rauchte die ganze verdammte Kippe.
    »Du gehst nicht zum Adler«, sagte er dann, »denn so regeln wir das hier nicht. Außerdem willst du ja wohl nicht den Ruf eines Denunzianten haben. Aber keine Sorge, wir kümmern uns um die Schweine, Pummel. Das verspreche ich dir. Sie werden es bereuen, dass sie sich mit einem Freund von mir angelegt haben.« Falls der Colonel glaubte, dass er mich nur seinen Freund zu nennen brauchte, um mich auf seine Seite zu kriegen, nun ja, da hatte er recht.
    »Alaska war ekelhaft zu mir heute Nacht«, sagte ich. Ich zog die Schreibtischschublade auf und benutzte sie als provisorischen Aschenbecher.
    »Wie ich schon sagte, sie ist launisch.«
    Am Ende ging ich in T-Shirt, Shorts und Socken ins Bett. Egal wie quälend heiß es war, ich beschloss, in Culver Creek jede Nacht in Klamotten zu schlafen. Und – wahrscheinlich zum ersten Mal in meinem Leben – durchströmten mich die Furcht und die Aufregung der Erkenntnis, dass ich an einem Ort war, wo man nie wusste, was als nächstes geschah oder wann.
Einhundertsechsundzwanzig Tage vorher
    »Okay. Und jetzt herrscht Krieg«, schrie der Colonel am nächsten Morgen.
    Ich drehte mich um und sah auf den Wecker: 7:52 Uhr. In achtzehn Minuten begann meine erste Stunde in Culver Creek: Französisch II. Ich blinzelte ein paar Mal und sah zum Colonel auf, der zwischen Couch und COUCHTISCH stand. In der Hand hielt er seine abgewetzten, ehemals weißen Turnschuhe an den Schnürsenkeln. Grimmig starrte er mich an, und ich starrte zurück. Und dann, fast in Zeitlupe, kroch ein Grinsen über sein Gesicht.
    »Eins muss man ihnen lassen«, sagte er schließlich. »Das war ziemlich clever.«
    »Was?«, fragte ich.
    »Gestern Nacht, bevor sie dich geholt haben, haben sie mir in die Schuhe gepisst.«
    »Ist das dein Ernst?«, fragte ich und verkniff mir das Lachen.
    »Willst du riechen?«, fragte er und hielt mir die Schuhe hin. »Ich hab eben dran gerochen, und ja, es ist mein Ernst. Wenn es eins gibt, das ich sofort kapiere, dann, wenn ich in jemandes Pisse stehe. Wie meine Mutter so schön sagt: ›Du denkst, du schreitest übers Wasser, dabei hat dir nur jemand in den Schuh gepinkelt.‹ Zeig mir die Jungs, wenn du sie heute siehst«, fügte er hinzu, »wir müssen rausfinden, warum sie so – äh – angepisst sind. Und dann setzen wir uns hin und überlegen, wie wir ihnen ihr mieses kleines Leben zur Hölle machen.«
     
    Als ich im Sommer das Culver-Creek-Handbuch geschickt bekam, hatte ich erleichtert festgestellt, dass das Kapitel »Dress-Code« nur zwei Worte enthielt: sportlich leger. Doch ich war nicht darauf gefasst, dass die Mädchen völlig verschlafen in Pyjamashorts, T-Shirt und Flipflops zum Unterricht erschienen. Leger, fand ich, und, äh, sportlich.
    Mädchen in Pyjamas (selbst wenn es sportliche Pyjamas waren) hatten etwas an sich, das Französisch II um 8:10 Uhr durchaus erträglich machte, hätte ich nur einen blassen Schimmer gehabt, wovon Madame O’Malley redete. Comment dis-tu en français »O Gott, mein Französisch reicht nie für Französisch II«? Französisch in Florida hatte mich nicht auf Madame O’Malley vorbereitet. Statt der Höflichkeitsfloskeln, die sonst nach den Sommerferien üblich sind, stürzte sie sich direkt in das passé composé, was offenbar eine Zeitform sein sollte. Alaska saß mir im Kreis der Pulte gegenüber, doch sie würdigte mich keines Blickes, während ich in der ganzen Stunde nichts anderes sah als sie. Selbst wenn sie eine Zicke sein konnte … das, worüber wir am ersten Abend gesprochen hatten, vom Labyrinth und wie man heraus kam – sie hatte was zu sagen. Und wie sich ihr rechter Mundwinkel kräuselte, als grinste sie gleich los, wie eine Hälfte von Mona Lisas Lächeln …
     
    Von meinem Zimmer aus war mir die Masse der Schüler erträglich vorgekommen, aber im Schulhaus, einem einzelnen lang gestreckten Gebäude, war es zu viel für mich. Es gab vierzehn Klassenzimmer mit Blick auf den See. Auf dem schmalen gepflasterten Weg vor dem Gebäude drängelten sich 190 Schüler, und obwohl es nicht schwer war, meine Kurse zu finden

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