Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine wie Alaska

Titel: Eine wie Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Green
Vom Netzwerk:
bin ich einfach abgehauen.«
    Er lachte. Dann holte er den Block raus und setzte sich an den Schreibtisch.
    »Ja, na ja. Ha ha. Alaska hat gesagt, ihr beiden bleibt hier.«
    »Ja, na ja. Ich hab irgendwie ein schlechtes Gewissen, dass ich Thanksgiving nicht bei meinen Eltern bin.«
    »Ja, na ja. Aber falls du hier bleibst in der Hoffnung, was mit Alaska anzufangen, muss ich dir abraten. Denn falls du sie von dem Anker losreißt, der Jake für sie ist, dann gnade uns Gott. Das wäre eine echte Tragödie. Und schon aus Prinzip versuche ich, Tragödien zu vermeiden.«
    »Es hat überhaupt nichts damit zu tun, dass ich was mit ihr anfangen will.«
    »Augenblick mal.« Er griff zum Bleistift und kritzelte etwas in seinen Block, als hätte er gerade eine mathematische Erleuchtung gehabt. Dann sah er mich an. »Ich hab gerade ein paar Berechnungen aufgestellt und kann beweisen, dass du Stuss redest.«
     
    Und er hatte recht. Meine armen Eltern, die so großzügig waren, für meine Ausbildung in Culver Creek zu zahlen, meine Eltern, die mich immer geliebt hatten – wie konnte ich sie am heiligen Thanksgiving-Fest allein lassen, nur weil ich vielleicht in ein Mädchen verknallt war, das einen Freund hatte? Wie konnte ich sie bloß allein auf einem Riesentruthahn und einer Tonne ungenießbarer Preiselbeersoße sitzen lassen? Und so rief ich zwei Stunden später bei meiner Mutter im Büro an. Wahrscheinlich hoffte ich, sie würde mich trösten und sagen, es sei schon in Ordnung, wenn ich in Culver Creek blieb. Aber ich war nicht auf die Begeisterung gefasst, mit der sie berichtete, dass sie gleich nach meinem Anruf einen Flug nach England gebucht hatte, wo meine Eltern Thanksgiving auf einem Schloss verbringen würden, zweite Flitterwochen sozusagen.
    »Oh, das – das ist ja toll!«, sagte ich kläglich, und dann beendete ich das Gespräch schnell, denn ich wollte nicht, dass sie mich heulen hörte.
    Anscheinend hatte Alaska in ihrem Zimmer gehört, wie ich den Hörer auf die Gabel knallte. Sie stand in der Tür. Doch sie sagte nichts, als ich mich abwandte und fortging. Ich lief quer über die Wiese zu den Sportplätzen hinunter, stapfte querfeldein durch den Wald, bis ich an den Creek kam, ein Stück unterhalb der Brücke.
    Dort setzte ich mich auf einen Stein, die Füße im dunklen Schlamm des Bachbetts, und warf Kieselsteine ins klare, seichte Wasser. Glucksend landeten die Kiesel im munteren Bach, der murmelnd seinem Lauf nach Süden folgte. Das Sonnenlicht fiel durch Laub und Kiefernnadeln wie durch Spitzengewebe und sprenkelte den Waldboden mit hellen Tupfen.
    Ich dachte an zu Hause, an die Dinge, die ich am meisten vermisste: die Bibliothek meines Vater mit den Regalen, die vom Boden bis zur Decke reichten und deren Bretter sich unter dicken Biografien bogen; an den schwarzen Ledersessel, der gerade unbequem genug war, dass ich nicht gleich einschlief, wenn ich las. Es war völlig albern, so traurig zu sein. Ich hatte sie hängen lassen, aber es fühlte sich an wie umgekehrt. Zum ersten Mal hatte ich eindeutig Heimweh.
    Ich blickte den Bach hinauf in Richtung Brücke und entdeckte Alaska, die auf einem der blauen Stühle in der Grotte saß, und obwohl ich eben noch dachte, ich wäre lieber allein, rief ich zu meiner eigenen Überraschung: »Hey.« Als sie sich nicht umdrehte, schrie ich lauter: »Alaska!«
    Und dann kam sie zu mir herunter.
    »Ich hab dich gesucht«, sagte sie und setzte sich neben mich auf einen Stein.
    »Ich bin hier.«
    »Tut mir echt leid, Pummel.« Sie legte den Arm um mich und lehnte den Kopf an meine Schulter. Auch wenn sie keine Ahnung hatte, was los war, klang es verbindlich.
    »Was soll ich bloß tun?«
    »Du feierst Thanksgiving mit mir, Dummerchen. Hier.«
    »Und warum fährst du nicht nach Hause?«
    »Ich hab Angst vor Geistern, Pummel. Und mein Zuhause ist voll davon.«
Zweiundfünfzig Tage vorher
    Als alle weg waren – nachdem die Mutter des Colonels in einer alten Rostlaube vorgefahren war und er seinen riesigen Seesack auf den Rücksitz geworfen hatte mit den Worten: »Ich hasse Abschiedsszenen. Wir sehen uns in einer Woche. Bleibt sauber«; nachdem Lara, deren Vater der einzige Arzt in einem Nest im Süden von Alabama war, in einer grünen Limousine abgeholt worden war; nachdem ich Alaska auf dem Höllenritt zum Flughafen begleitet hatte, um Takumi abzusetzen; nachdem sich eine unheimliche Ruhe über das Schulgelände gelegt hatte, kein Türeschlagen, keine plärrende Musik, kein

Weitere Kostenlose Bücher