Eine wie Alaska
Gelächter, kein Geschrei – nach alledem …
Wir schlenderten in Richtung Fußballplatz. Alaska führte mich zu einer Stelle jenseits der Seitenlinie, wo der Wald anfing, der gleiche Weg, wie damals, als die Jungs mich in den See geworfen hatten. Im Vollmondschein warf sie einen Schatten, und in ihrem Schatten konnte man die Kurve zwischen Hüfte und Taille sehen, und nach einer Weile blieb sie stehen und sagte: »Graben.«
Und ich fragte: »Graben?«, und sie sagte: »Graben«, und so ging es noch eine Zeit hin und her, bis ich in die Knie ging und in der weichen schwarzen Erde am Waldrand zu graben anfing. Ich musste nicht tief graben, da stieß ich auf Glas, und grub darum herum, bis ich eine Flasche freigelegt hatte. Der Wein war rosa und hieß Strawberry Hill, und wahrscheinlich sollte er nach Erdbeeren schmecken, doch in Wirklichkeit schmeckte er wie Essig mit einem Schuss Ahornsirup.
»Ich hab einen gefälschten Führerschein«, sagte sie. »Aber er ist ziemlich mies, und im Schnapsladen fallen sie nicht immer drauf rein. Deshalb nehme ich immer gleich zehn Flaschen Wein und Wodka für den Colonel, wenn es mal klappt. Dann hab ich genug für ein Halbjahr. Der Colonel kriegt seinen Wodka und lagert ihn in seinem Versteck, und ich nehme meinen Wein und grabe ihn hier ein.«
»Weil du eine Piratin bist«, sagte ich.
»Ay ay, Matrose. Goldrichtig. Allerdings ist mein Weinkonsum in diesem Jahr gestiegen, weshalb wir morgen einkaufen gehen müssen. Das hier ist meine letzte Flasche.« Sie schraubte den Deckel ab – Strawberry Hill hatte einen Schraubverschluss –, nahm einen Schluck und reichte mir die Flasche. »Mach dir wegen dem Adler keine Sorgen. Heute Abend genießt er, dass fast alle weg sind. Wahrscheinlich holt er sich das erste Mal seit Wochen einen runter.«
Ich hatte mir Sorgen gemacht, als ich die Flasche ansetzte, aber ich wollte ihr vertrauen, und so verscheuchte ich meine Vorbehalte. Nach dem ersten Schluck spürte ich, wie sich mein Magen gegen den brennenden Sirup auflehnte. Bevor mir das Zeug wieder hoch kam, nahm ich noch einen kräftigen Schluck, und voilà, das war’s. Ich trank Alkohol auf dem Schulgelände.
Wir lagen zwischen dem Waldrand und dem Fußballplatz im Gras und ließen die Flasche hin- und hergehen, den Kopf hoben wir nur, um den grässlichen Wein herunterzuschlucken. Genau wie sie es auf der Liste versprochen hatte, hatte Alaska ein Buch von Kurt Vonnegut dabei, Katzenwiege , und sie las mir daraus vor. Ihre leise Stimme mischte sich mit dem Quaken der Frösche und dem Zirpen der Grillen, die sanft neben uns auf und ab sprangen. Es waren weniger ihre Worte, denen ich lauschte, als dem Klang ihrer Stimme. Sie kannte das Buch anscheinend gut, denn sie las sicher und fehlerlos, und ich hörte, wie sie beim Lesen lächelte, und der Klang dieses Lächelns überzeugte mich, dass ich Romane viel lieber mögen würde, wenn Alaska sie mir vorlas. Dann ließ sie das Buch sinken, und ich hatte ein warmes Gefühl im Bauch, war aber noch nicht betrunken. Die Flasche stand zwischen uns – sie berührte meine Brust, und sie berührte ihre Brust, doch wir berührten einander nicht. Dann legte sie die Hand auf mein Bein.
Ihre Hand lag etwas über meinem Knie, flach und weich auf meiner Jeans, und mit dem Zeigefinger malte sie langsame, träge Kreise auf die Innenseite meines Schenkels, und das bei nur einer Schicht dazwischen. Mein Gott, ich wollte sie. Und wie ich dort lag, im hohen, reglosen Gras unter dem sternentrunkenen Himmel, wie ich ihrem kaum hörbaren rhythmischen Atem lauschte und der lauten Stille der Ochsenfrösche, der Grillen und der Autos, die in der Ferne über die I-65 rauschten, da dachte ich, dies wäre ein guter Zeitpunkt, die Drei Kleinen Worte auszusprechen. Und ich nahm all meinen Mut zusammen, während ich in die sternenreichste Nacht hinauf starrte, versuchte mich zu überzeugen, dass auch sie es spürte, dass ihre Hand, so lebendig und wach auf meinem Bein, mehr war als nur Spaß, und scheiß auf Lara und scheiß auf Jake, denn Alaska Young, ich liebe dich, und was sonst zählt?, und ich hatte die Lippen schon geöffnet, doch bevor ich meine Worte flüstern konnte, sagte sie: »Es ist gar nicht das Leben oder der Tod, das Labyrinth.«
»Äh, ach so. Und was sonst?«
»Das Leiden«, sagte sie. »Schlimme Taten, und dass einem schlimme Dinge passieren. Darum geht es. Bolívar sprach vom Schmerz, nicht vom Leben oder vom Sterben. Wie kommt man aus dem
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