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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
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lesen.«
    »Ich bin wirklich sehr gespannt, solange ich nicht mit reingezogen werde.«
    »Nur keine Angst. Solche wie du können keiner Fliege was zuleide tun.«
    »Hoho, ein freundliches Kompliment«, kicherte Rost. »Hör mal, Mischa, vielleicht entscheidest du dich für die Ehe. Das ist weniger gefährlich als ein Attentat. Ich meine, es würde besser zu dir passen, dich um einen Säugling zu kümmern, als mit Bomben zu hantieren.«
    Jascha lachte breit.
    »Du solltest dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten kümmern, statt schlau daherzureden.«
    Keiner kannte die Lebensumstände von Mischa dem Anarchisten. Vor etwa einem Jahr war er lang und hager im Achdut aufgetaucht, und seither kam er oft. Meist schwieg er, lauschte der Unterhaltung, ohne mitzureden. Offenbar hielt er sich absichtlich heraus, und seinen Gesprächspartner speiste er meist mit einer banalen Bemerkung ab, die die Diskussion erstickte, mit einem Satz, in dem vielleicht ein Anflug von Schalk, von Spott mitschwang, auch wenn er immer völlig ernst, ja sogar mit künstlichem Pathos herauskam. Man wusste nur, dass er in einer Glühbirnenfabrik arbeitete, kaum Umgang mit anderen Menschen pflegte und dass niemand eine Ahnung hatte, wo er wohnte. Er war ein altersloser Typ. Hätte fünfundzwanzig oder auch fünfunddreißig Jahre alt sein können. Machte einen sehr gebildeten Eindruck, obwohl sich das nicht in seiner Redeweise ausdrückte. Saß oft stundenlang schweigend in diesem Kreis, rauchte, beobachtete, ohne jemanden anzugreifen, obwohl es ihm offensichtlich nicht an Mut fehlte. In seinem Blick lag die Sturheit eines latenten Fanatismus. Sein Wesen weckte bei seinen Mitmenschen vage Furcht oder richtiger: Beklemmung, ohne einen bestimmten äußeren Grund.
    Manchmal musste er hohl und stoßweise husten, was den Verdacht erregte, seine Lunge könnte keinen heilen Fleck aufweisen. Zuweilen sang er leise vor sich hin, ein Lied in einer fremden Sprache, die sich wie Mongolisch anhörte, und die Melodie war tieftraurig, sehnlich, breitete eine unbekannte, fremde, herrlich wilde Landschaft, ob echt oder imaginär, vor dir aus, und darin gingen aufrechte junge Mädchen zum Brunnen, umringt von grünen Bergketten, und diese Landschaft in ihrer großen Schönheit und Einsamkeit erfüllte dich mit Trauer und Wonne und Sehnen zugleich, ja auch mit einem Gefühl der Erhabenheit.
    Dieser Mischa interessierte Rost in gewisser Hinsicht, und er stichelte ihn jetzt nur in der heimlichen Hoffnung, ihn aus der Reserve locken und etwas Klares aus ihm herausholen zu können, ein winziges bisschen seines wahren Wesens. Aber Mischa fiel nicht darauf herein, und Rost musste es auch diesmal mit ihm aufgeben.
    »Nimm’s mir nicht übel, Mischka, du verstehst doch Spaß.«
    »Ich spucke auf alles!«
    »Halt an dich, spuck nicht. Wir kippen einen zusammen!«
    In der kleinen Straße hing laue Abendluft. Kinder spielten noch ein letztes Spiel vor dem Schlafengehen. Vor der Haustür unterhielten sich Frauen, einige führten ihre Hunde Gassi, andere saßen auf Stühlen, die sie aus den Wohnungen geholt hatten, und tratschten über die Nachbarinnen mit den Pförtnern, die ihre langen Pfeifen pafften. Eine Frauenstimme rief: »Schurl, mach schnell! Vergiss die Schlüssel nicht!« Und Schurl antwortete aus dem offenen Fenster: »Halt den Mund, du Luder!« Jemand kicherte laut. Schlosser Glöckner züchtigte seinen Sohn wie allabendlich um diese Zeit, und das Wehgeschrei des Jungen drang durch die Fenster der Souterrainwohnung und hallte durch die Straße.
    Mischa sagte: »Ich hatte mal einen Freund, ein mitleidiges Herz. Er hat eine Dirne aus dem Bordell geholt und sie geheiratet. Er meinte, diese Frauen verdienten mehr Mitgefühl als andere. Sie blieb über ein Jahr bei ihm, gebar ihm einen Sohn und türmte. Man sah sie später in einem anderen Hurenhaus. Er kümmerte sich eine Weile selbst um den Säugling, da er kein Geld hatte. Zum Schluss gab er ihn in ein Waisenhaus, und der Kleine wurde kein Jahr alt.«
    »Nicht übermäßig interessant, deine Geschichte«, spöttelte Rost.
    »Wenn du auf interessante Dinge aus bist, lies einen Kriminalroman. Im Leben sind die Geschichten weniger interessant und dafür trauriger.«
    »Und was ist am Ende aus diesem Freund geworden?«
    »Am Ende? Sibirien! Zwangsarbeit!«
    »Hoho! Und all das wegen dieser Schlampe, die ihm weggelaufen ist?«
    »Vielleicht auch deswegen«, erwiderte Mischa schlicht, »er war verzweifelt. Hatte den Glauben

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