Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
antwortete hin und wieder aus Höflichkeit. Die ganze Zeit über behandelte Georg Stift Rost mit verhaltener Sorge, wie einen Kranken, der behutsamerPflege bedarf. Er war ihm wohl dankbar für seinen Misserfolg, der ihm seinen eigenen Wert bestätigte und sein Glücksgefühl steigerte. Aber Rost dachte von ihm: »Idiot.«
Er begann sich im Familienkreis schon rechtschaffen zu langweilen, und hätte ihn die Musik nicht von der Pflicht zur Unterhaltung befreit, wäre er unter irgendeinem glaubhaften Vorwand geflohen. Hin und wieder schnappte er einen verstohlenen, sehnlichen Blick von Gertrud auf. Als er eine Weile später seine Augen durch den Saal schweifen ließ, bemerkte er ein paar Tische weiter Peter Dean, der mit einem Unbekannten zusammensaß. Er stand sofort auf und ging hin, um ihn zu begrüßen.
Dean empfing ihn freundlich. Er stellte ihn seinem Tischpartner, einem streng und hart wirkenden Mann namens Stans, vor und bat ihn mit an den Tisch. Rost entschuldigte sich. Er könne nur ein paar Minuten bleiben, weil er zu einer Feier seiner Zimmerwirte hier sei, was Dean die scherzhafte Bemerkung entlockte: »Sie bereiten sich also so früh wie möglich auf den trauten Familienkreis vor.«
»So ähnlich«, lachte Rost.
»Mein Franz wird Ihnen dankbar sein. Ich hatte vor, ihn morgen früh mit einem Brief zu Ihnen zu schicken. Sie sind zum Mittagessen bei mir eingeladen. Jetzt, wo wir uns getroffen haben, braucht er diesen Botengang nicht zu machen.« Kurz darauf: »Und wie verbringen Sie Ihre Zeit?«
»Nicht schlecht, jeder Tag hat seinen Reiz.«
»Ja. Man sieht Ihnen an, dass Sie nicht unter Langeweile leiden.«
»Ganz und gar nicht. Dazu bin ich zu neugierig.« »In diesem Alter«, tat Stans zum ersten Mal den Mund auf, wobei seine tiefe Stimme und sein sicherer, bestimmter Ton keine Widerrede gelten ließen, »in diesem Alter ist die Welt groß und abwechslungsreich. Im Lauf der Jahre schrumpftsie, und ihre Farben werden stumpf. Jeder Mensch sieht seine eigenen Vorstellungen darin.«
Nun stimmte die Kapelle einen wilden Csárdás an, und Rost stand auf und verabschiedete sich.
»Das war doch dieser Dean, der Amerikaner, mit dem Sie eben gesprochen haben«, staunte Georg Stift, als Rost zurückkam. »Ich beglückwünsche Sie zu dieser Bekanntschaft! Dean ist Millionär! Einer der reichsten Männer des Landes! Wen der unter seine Obhut nimmt – der hat ausgesorgt!«
Rost erwiderte nichts. Spähte zu Erna, deren Finger wie von selbst nervös auf die Tischplatte trommelten, während ihr Schleierblick ins Leere ging. Was für eine Feuersbrunst! Ein wahrer Vulkan! Ihrem blutleeren Vater glich sie jedenfalls nicht. Eher ihrer Mutter. Die würde einen Sturm in ihrer Umgebung entfachen!
Plötzlich überlief ihn eine Welle der Zuneigung für dieses junge Mädchen, das in den heftigen Stimmungsschwankungen der Pubertät befangen war, ohne zu wissen, wie ihr geschah. Seine Miene erhellte sich schlagartig. Sogar ein stilles Lächeln breitete sich darauf aus. Jetzt fand er diese Feier überhaupt nicht mehr langweilig. Er empfand nun sogar eine gewisse Nähe zu Georg Stift mit seiner Kuba-Zigarre, der vor Freude kaum hörbar und leicht näselnd die Melodien mitsummte. Mechanisch hob er sein Gläschen und trank den Rest Cherry Brandy. Dieses kühle, honigsüße Getränk, das eine verborgene Welt scharfer Phantasiebilder in sich barg, die der normalen, derben Wirklichkeit enthoben und in einer anderen, vielleicht wahreren und intensiveren Wirklichkeit verwurzelt waren, weckte bei ihm wie mit Zauberkräften eine Gewissheit: Dieses Mädchen war für ihn bestimmt und würde auch sein werden.»Nicht schlecht, die Kapelle, was«, wandte er sich an Georg Stift.
»Ganz und gar nicht.«
Es ging schon auf Mitternacht. Stift rief den Kellner. Der Regen hatte mittlerweile aufgehört. Zwischen den Wolkenfetzen funkelten sogar ein paar blitzblanke Sterne. Entlang des Parks fielen späte Tropfen von den Baumwipfeln, die den Zaun überragten. Stift summte die Melodie vor sich hin, die die Kapelle zum Abschluss gespielt hatte. Trug noch ein Weilchen den Geruch des Kaffeehauses an sich, der mit der reinen, würzigen Luft draußen keine Verbindung einging. Gertrud, die neben Rost ging, passte einen unbeobachteten Moment ab, um ihm zuzuflüstern: »Ich bin sehr traurig. Wenn du nur wüsstest, wie traurig ich bin.« Rost gab keine Antwort. Nahm im Verborgenen ihre Hand und drückte sie. Sonst sagte keiner etwas, den ganzen Weg über.
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