Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
Am Tor verabschiedete sich Rost, er wolle noch ein wenig spazieren gehen in dieser herrlichen Nacht.
In Gertruds Herz geriet plötzlich etwas aus dem Lot. Ihr kam das schmerzliche Gefühl, er ginge für immer von ihr, auf Nimmerwiedersehen. Sie erlitt einen jähen Schwächeanfall, wie vor einer Ohnmacht, und schaffte es nur mit großer Mühe die Treppe hinauf, während Rosts sichere, kräftige, davongehende Schritte ihr erbarmungslos im Kopf nachhallten. Gertrud blieb einsam zurück, entsetzlich einsam.
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Nach dem Essen wurde der Kaffee im Rauchzimmer serviert, einem langgestreckten Raum in orientalischem Stil. Dicke Teppiche in gedeckten Farben dämpften jeden Ton, nahmen ihm etwas von seiner Schwere, darauf niedrige, gepolsterte Schemel und Bänke, Aschenbecher aus Messing und Kupfermit orientalischen Ziselierungen auf schlanken Stängeln, die wie exotische Blüten anmuteten. In einer Ecke saß ein chinesischer Buddha mit übermenschlich breitem Gesicht, das lachend oder auch schreckverzerrt sein mochte, die Arme verschränkt und die Augen aus großen, funkelnden Smaragden. Dazu ein paar kleine schwarze Holzfiguren von schlanker Gestalt mit großem Kopf, wie sie der primitiven, überbordenden Phantasie ihrer Schöpfer entsprungen waren, schlicht und genial. Merkwürdige Lebewesen, halb Mensch, halb eine andere, fremdartige Kreatur, die in der Natur nicht vorkommt, und einige schwarze Masken mit grotesken Fratzen an wertvollen Wandbehängen. In dem etwas dämmrigen, beruhigenden Licht, das den Raum erfüllte, fühlte sich der Mensch meilenweit von sich und seinen Privatangelegenheiten entfernt. Eine Tür führte auf eine große überdachte Terrasse, die auf einen Garten mit jahrhundertealten schattenspendenden Bäumen blickte. Berauschender Lavendelduft, ein Hauch ruhiger, wunschloser Verträumtheit hing in diesem dunkel gehaltenen Raum. Die reale Welt blieb draußen vor, weit weg, sickerte nicht ein.
Auf einem Diwan, halb hingegossen, das eine Bein untergeschlagen, frönte Marie Dean dem Rauchen. Ab und zu legte sie ihren Blondschopf in den Nacken und blies eine Rauchsäule zur Decke empor. Waldi, das Hündchen, lag neben ihr, ein weißes Wollknäuel, die schwarzen Äuglein auf einen verborgenen Punkt vor sich gerichtet, in unerforschliche Gedanken versunken. Versammelt waren: Felix von Brunnhof, ein Verwandter Frau Deans, Offizier der Kavallerie, dessen stets melancholische Augen ihren Ausdruck selbst beim Lachen nicht änderten, Herr Stans, der streng dreinblickte, den Rauchkringeln seiner Zigarette nachschaute und nur gelegentlich einen kurzen und meist schwülstigen Spruch ins Gespräch einwarf, der dort wie ein Kieselstein versackte, ohne darin aufgehen zu können, undFrau Gisela, oder einfach Gisela ohne Zusatz, wie man sie im Hause Dean nannte, eine schlanke und quicklebendige Brünette in Schwarz (ihr Mann, Karl Fuchstaler, hatte sich vor einem halben Jahr umgebracht, was sie nicht als das größte Unglück im Leben wertete), die jedem Satz nötiger- oder unnötigerweise ein Lachen folgen ließ, um ihre schönen Zähne zu zeigen und weil ihr das Lachen überhaupt gut zu Gesicht stand. Dieses Lachen fügte sich nicht immer als natürlicher Abschluss an das Gesagte, sondern sorgte gelegentlich für betretenes Kopfzerbrechen und störte das Gespräch für kurze Zeit. Außerdem war sie reich und kinderlos und umgarnte Felix von Brunnhof insgeheim. Sie konnte einfach nicht stillsitzen. Alle Augenblick sprang sie auf, ging hin und her, verharrte vor dem Buddha oder einer anderen Statue, die sie schon x-mal gesehen hatte, fuhr sich kokett mit der Hand übers Haar und warf dem Offizier verstohlene Blicke zu. Ihre Sprunghaftigkeit fiel etwas aus dem Rahmen in diesem schummrigen Raum, der eine nachdenkliche Atmosphäre verlangte und einige Mäßigung oder sogar Nachlässigkeit in den Gebärden gebot. Rost zog behaglich an der würzigen Zigarre, die Dean ihm spendiert hatte. Betrachtete die warme, blaugraue Aschensäule, die in Gänze mit der schon halb gerauchten Zigarre verbunden war.
Dean erzählte von seltsamen, mutigen Menschen, die nicht zögerten, ihr Leben nach ihrer eigenen Natur, ihrem Trieb zu leben, ohne sich im Geringsten selbst zu verleugnen, ungeachtet ihrer Umgebung, die keinerlei Abweichung von ihrer selbstbestimmten Norm tolerierte und jeden, der anders oder außergewöhnlich war, als Sonderling oder gar Verrückten abstempelte.
Seine Stimme war tief, warm, betörend, es war angenehm, dieser
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