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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
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begreiflich, nicht erschreckend. Er war real, und alles Übrige, das Leben mit all seinen vielen Facetten, wurde so traumhaft, dass man seine Wirklichkeit leugnen konnte.
    »Es gibt noch eine andere Möglichkeit«, sagte Rost, »dassman sich auf eine Tätigkeit konzentriert, wenn man dem Müßiggang nichts abgewinnen kann.«
    »Eine Tätigkeit? Irgendeine? Wozu? Was würde das ändern? Mein Vater hat nie einen Finger gerührt. Auch mein Großvater nicht. Das Vermögen ist vom Vater auf den Sohn übergegangen. Die Geschäfte laufen von selbst, und das Kapital vermehrt sich ständig. Möchten Sie Geld haben? Tausend, fünftausend, zehntausend? Mein Vater weiß zu genießen, kann es jetzt noch mit seinen sechsundsechzig Jahren.«
    Er setzte sich auf eine Bank außerhalb des Volksgartens, an dem sie vorüberkamen. »Mir hat es im Leben noch nie an etwas gefehlt, jeder Wunsch wurde mir erfüllt, noch ehe er konkrete Form annehmen konnte. Der Reichtum hat mich geschwächt, mir blieb kein Raum für Wünsche mehr. Alle Dinge, die mit Geld zu kaufen sind, haben keinerlei Wert in meinen Augen, Reue und Abscheu waren das Ergebnis. Und alles Übrige – ich weiß nicht, ob es in Wirklichkeit existiert, und wenn ja, bin ich unfähig, es zu erlangen.«
    »Sie haben es noch nicht versucht. Man muss sich oftmals darum bemühen, immer aufs Neue, einmal von dieser, einmal von jener Seite und dann von einer dritten. Hartnäckigkeit ist eine wichtige Eigenschaft.«
    »Aber wenn der Geschmack an all dem abhandengekommen ist?«
    »Ein vorübergehender Zustand, Sie können nicht wissen, welche Überraschungen das Leben für sie bereithält, sie kennen es ja nicht, kennen nur eine bestimmte Gesellschaftsschicht. Ich nehme Sie mal mit an einen Ort, wo Sie Menschen von anderem Schlag sehen werden. Gehen Sie ein bisschen raus aus ihren vier Wänden, in denen Sie pausenlos Seelenforschung betreiben.«
    Anker zündete sich eine Zigarette an und zog eine Weiledaran, starrte vor sich hin auf die leere, breite Straße. »Wissen Sie, ich habe noch nie einen Freund gehabt, einen richtigen Seelenverwandten … Als ich klein war, ging das gar nicht. Im Park durfte ich nicht mit den anderen Kindern herumtollen, meine Kinderfrau erlaubte es nicht, ich weiß nicht, warum. Doch, ich erinnere mich, um mich nicht an irgendeiner Kinderkrankheit anzustecken. Geschwister hatte ich auch keine, und so spielte ich immer allein. Die Schule habe ich nicht besucht. Als ich das Schulalter erreichte, kamen die Lehrer ins Haus. Nur zu meinem Geburtstag und manchmal an anderen Festtagen wurden einige Verwandte und ein paar Freunde meiner Eltern mit ihren Kindern eingeladen, und nach dem Festessen durften wir spielen. Alle spielten und machten Krach, nur ich blieb immer abseits. Stand dabei und sah zu. So ging es auch, wenn ich bei ihnen eingeladen war. Als ich größer wurde und aufs Gymnasium kam, hatte ich hin und wieder Freunde, aber schon nach kurzer Zeit lästerten sie hinter meinem Rücken über mich, ohne erkennbaren Grund. Ich bin sicher, sie mochten mich nicht. Unser Kutscher Johann fuhr mich immer in die Schule und wartete nach Unterrichtsschluss mit der Kutsche, um mich wieder heimzufahren. Ich war immer wie ein Gefangener. Später, als ich schon sechzehn war und die Aufsicht über mich etwas gelockert wurde, fand ich keinen Zugang mehr zu Jungen meines Alters. Ich war bereits in mich selbst versunken, nach außen abgeschottet, kaum noch fähig, mich zu öffnen. Oft habe ich versucht, einen Freund zu finden – vergebens. Wenn ich jemanden kennenlerne, fange ich sofort an, ihn zu sezieren, zu kritisieren, ich decke Mängel an ihm auf, analysiere seine Beziehung zu mir und meine Beziehung zu ihm, bis ich schließlich nichts mehr in Händen habe. Der übertriebene Forschungsdrang, wenn Sie so wollen. Der Mensch ist nicht vollkommen, und ich bin es noch weniger als andere, unddoch möchte ich, dass mein Freund die Vollkommenheit in Person ist und sein Verhältnis zu mir rein und stark. All das sprengt den Rahmen des Möglichen, ich weiß.«
    »Verlangen Sie nicht zu viel, die Menschen sind nicht völlig gut und nicht völlig schlecht, sie sind beides – je nach der Lage und den Umständen. Vielleicht sind sie eher töricht als schlecht. Einfach gestrickt sind sie jedenfalls nicht, und sosehr Sie sie auch drehen und wenden, werden Sie ihre Seele nicht erforschen.« Rost sah auf seine Uhr und erhob sich. »Es ist spät.«
    Anker hielt an der Straßenecke einen

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