Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
Horden gleichaltriger Mädchen, den Sonjas, Wanjas, Zillas, die hell und rein auflachten und über die Fahrbahn hinweg ein klares Ja oder Nein zurückschossen. Sie zankten sich über Nichtigkeiten und vertrugen sich wieder, ein ums andere Mal. Und der Abend wehte durch die laue Straße, langsam, würzig und auch ein wenig ermattet, und der Pfarrershund kläffte heiser und abgehackt in das glockenhelle Lachen und in das Funkeln der feuchten Sterne, die zuweilen wie brennende Schuppen oder elektrischer Funkenregen herabrieselten. Bald danach schlenderten sie Pärchen auf Pärchen die Straße hinunter und passten einen günstigen Moment ab, um sich ein wenig im Gewirr der tief über die Zäune hängenden Äste zu verbergen, und wieder klang hier und da aus dem Verborgenen leises Lachen auf, diesmal vor Kitzel und Ausgelassenheit. Aber er, Rost, war jetzt nicht dort, und es war gut, hier zu sitzen, im Gewimmel dieser Großstadt, inmitten hastender Menschen, und jene Straße mit all ihren Farben und Gerüchen im Herzen zu bewahren, wie man einen wertvollen Gegenstand in der Hosentasche bei sich trägt, den man jeden Augenblick hervorziehen kann, um die Augen daran zu weiden.
Erna erschien pünktlich am Treffpunkt. Sie gingen zusammen zur Hauptstraße, wo Rost einen Fiaker anhielt und den Kutscher beorderte, sie zur Hauptallee zu bringen. Ein goldener Sommertag leuchtete vor ihren Augen, und ein leichter Wind wehte ihnen entgegen und streichelte ihre Gesichter. Die Straßen strahlten wunderhübsch im Sonnenschein, wirkten wie neu, als böten sie sich erstmals den schauenden Blicken dar. Erna schwieg. Sie war in stilles Glück versunken,auf dessen Grund jedoch auch ein wenig ängstliche Neugier einsickerte, die gespannte Erwartung auf etwas Fremdes, Unbekanntes, das vielleicht das eigentliche Geheimnis des Lebens in sich barg. Rost ergriff ihre Hand, und sie ließ es geschehen. Er streichelte sie zärtlich viele Male, hob sie dann ans Gesicht und drückte die Lippen auf den Handrücken.
Die Straßen wichen beiderseits zurück, die Hufeisen der Pferde stiebten gelegentlich Funken auf dem Pflaster, und der Trubel der Stadt dämpfte ihr Getrappel. Erna fühlte sich erwachsen, wichtig, frei, alles zu tun, was ihr beliebte. Es war, als hätte sie eben erst wahre seelische Reife erlangt, sei erst in diesem Moment eine vollgültige Frau geworden. Mit einem Schlag war das Zaudern der Pubertät von ihr abgefallen. Nein, jetzt war sie nicht mehr das dumme kleine Mädchen von gestern, von vor einer Stunde. Jetzt saß sie auf dem weichen Sitz einer eleganten Kutsche, an der Schulter eines jungen Mannes, an der Schulter dieses Rost, der ihre Seele restlos erfüllte. Zum ersten Mal im Leben schaukelte sie so in einer Kutsche. All ihre bisherigen Kutschfahrten galten nichts im Vergleich zu dieser. Zurück lief der spiegelglatte Kanal, in dessen ruhigen Wassern die Kaimauern und Bäume umgekehrt, das Oberste zuunterst, versanken. Ab und zu warf Erna ihrem Begleiter einen Seitenblick zu, ohne sich dessen bewusst zu sein. Dann glitten sie schon auf die von Sonnenflecken übersäte gewölbte Fahrbahn der Hauptallee hinunter. Die Räder rollten geräuschlos, und aus den Baumwipfeln und Büschen zu beiden Seiten wehte angenehme, etwas feuchte Frische, die nach Heu duftete.
Ein Stück weiter drinnen auf der Hauptallee stiegen sie aus, und Rost entließ den Kutscher. Im ersten Moment konnten sie kaum auf den eingeschlafenen Beinen stehen, die von der Fahrt watteweich geworden waren. Die Mattigkeit in den Beinen fühlte sich angenehm an, und MyriadenAmeisen schienen in ihnen zu kribbeln. Erna brach unvermittelt in schallendes, glockenreines, übermütiges Lachen aus, das weithin trug, und begann auf einem Bein ein Stück zu hüpfen. Einen Moment später kam sie wieder angerannt und packte Rost am Arm. »Lassen Sie uns ein bisschen rennen, um die eingeschlafenen Glieder zu strecken!« Sie ließ seinen Arm wieder los und schlug vor: »Warten Sie hier. Ich laufe ein Stück, und Sie fangen mich, möchten Sie?«
Die Allee war hier fast menschenleer. Nur gelegentlich kamen eine Kutsche oder ein paar Spaziergänger vorüber. Rost ließ Erna rund zwanzig Schritt Vorsprung, dann nahm er die Verfolgung auf und schnappte sie. Erna atmete schwer und stoßweise und lachte mit einem Mund voller weißblitzender, regelmäßiger Zähne. Rost hielt sie in den Armen, drückte sie an sich und spürte ihre kleinen, festen Brüste durch die Kleidung. Sie legte den
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