Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
Menschen um dich herum geschart, das muß ich dir lassen.“
„Und du hast damit kein Problem, Mama?“
Sie lächelte mich an, legte noch einmal ihre alte, faltige Hand an meine Wange und sagte: „Ich freue mich für dich. Ich bin froh, daß du glücklich bist. Wie wichtig so eine Beziehung ist, wirst du erst merken, wenn du sie nicht mehr hast.“
Ich bin ja kein besonders emotionaler Mensch, aber in diesem Moment, als sie vom Tod meines Mannes sprach, da schnürte es mir die Kehle zu.
Ihr stiegen Tränen in die Augen. Sie legte die zweite Hand an mein Gesicht und zog mich zu sich, drückte meinen Kopf an ihre Brust. „Solange du nur glücklich mit ihm bist.“ Dann schob sie mich von sich: „Und jetzt lauf, sonst ist die Party vorbei, und du hast nichts davon gehabt.“
Es fiel mir schwer, aufzustehen. „Möchtest du noch was trinken?“
„Nein, mein Junge; ich bin sehr müde. Es ist schon bald Mitternacht. Ich werde mich noch ein wenig mit Frau Birgit unterhalten, dann werden mich die Mädchen nach Hause fahren.“
„Wo übernachtet ihr überhaupt? Ihr könnt selbstverständlich bei uns …“ sagte ich.
„Gudrun und ich haben uns gestern nacht ein Hotelzimmer geteilt, heute schlafe ich bei euch und Sieglinde nimmt mein Bett im Hotel.“
„Meinst du wirklich? Es wäre wirklich kein Problem.“
„Das Hotel ist schon bezahlt. Der Aufwand wäre viel zu groß.“
„Aber wir frühstücken doch gemeinsam, oder?“
„Selbstverständlich. Und jetzt geh. Guck, da wartet schon der junge Herr Jay Pee auf dich.“ Sie hatte diese Abkürzung von Malvyn übernommen, weil sie leichter auszusprechen war, als das französische Jean-Paul.
Ich drehte mich um. Tatsächlich, da stand der Mann mit den wunderschönen Lippen. Daß er seinen neuen Geliebten an der Hand hielt, bemerkte ich erst einen Moment später.
„Erklär bitte Jörn, warum du Eddi geheiratet hast. Ich frage nicht nach deiner Liebe, sondern wirklich nur nach diesem Ehekram.“
Ich schaute mir Jörn an, der sich fest an seine Neuerrungenschaft drückte: Ein kleines, aufgestyltes Bübchen, sehr schlank und zurückhaltend; er konnte noch keine fünfundzwanzig sein. Jean-Paul wurde jetzt von ihm geküßt. Es erleichterte mich fast, denn diese Lippen hatten mich immerzu verführt.
„Das war kein Ehekram“, antwortete ich. „Daß die Institution Ehe überholt ist, das hat Engels schon vor weit mehr als hundert Jahren schlüssig begründet. Aber ich glaube an die Beziehung und daran, daß man dann auch manchmal Dinge tun muß oder Dinge nicht mehr tun darf. Rumknutschen zum Beispiel …“ Ich merkte, daß meine Stimme leiser wurde, ganz automatisch, als wäre sie nicht so überzeugt von dem, was ich sie zwang zu sagen. „Sex bleibt dann in der Beziehung.“
„Das ist doch selbstverständlich“, sagte dieser Jörn mit piepsiger Stimme.
„Für manche ja, aber nicht für alle“, sagte ich und schaute mich um.
„Und diese Trauung?“ fragte Jean-Paul. „Warum hast du so einen traditionellen Hokuspokus mitgemacht?“ Er war ein eingefleischter Homo-Ehe-Gegner, das war bekannt.
„Ich habe die Zeremonie mitgemacht, weil ich wußte, wie wichtig sie Edvard ist. Er wollte einmal im Leben ein Brautkleid tragen, er wollte mit Reis beworfen und von vielen Freunden beglückwünscht werden. Es war ihm wichtig, unsere Beziehung regelrecht hinauszuposaunen. Du kennst ihn doch: Er läßt kein Drama aus.“
„Du bereust es also nicht?
„Nein, ganz im Gegenteil. Daß wir uns das Versprechen gegeben haben, hat unsere Beziehung auf eine andere Ebene gehoben.“
„Aha.“ Jean-Paul schaute mich mit großen Augen an, als hätte ich gerade die Geschichte umgeschrieben.
Jörn strahlte. „Siehst du, davon rede ich die ganze Zeit“, sagte er, knutschte Jean-Paul so fest ab, daß sie fast auf die Tanzfläche fielen.
„Was hast du denn mit denen angestellt?“ fragte Max und deutete auf die beiden.
„Nichts“, antwortete ich.
„Leider? Oder: Gott sei Dank?“
„Bitte?“
„Deine Augen verraten mehr, als es dir lieb ist, Bernhard“, sagte er, klopfte mir auf die Schulter und ging.
„Hast du nicht Lust zu tanzen?“ fragte mich Edvard, einen Sektkelch schwenkend. „Hier ist eine Riesenstimmung, und du stehst rum und führst philosophische Gespräche.“
Ich schaute mich um. Auf der Tanzfläche hampelten vielleicht zehn Leute herum, darunter Malvyn, der sich bewegte wie ein junger Gott.
„Scherzbold. Du weißt, daß ich nicht tanze.“
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