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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Niederwieser
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Zuhörern von ihrem großen Bruder Malvyn: Daß er aus einem Land kam, in dem es ganz große Tiere gab und wo man stundenlang mit dem Auto fahren konnte, ohne jemandem zu begegnen. Und daß er die Gesänge der Vögel imitieren konnte. Und daß er immer mit einem Walkman durch die Wohnung lief und bei allem, was er tat, laut mitsang. Und daß er viele Geister kannte, die für ihn zaubern würden, wenn er sie darum bat. Alles, was sie sagte, unterstrich sie mit den entsprechenden Gesten. Ihr kleiner Schnabel stand den ganzen Abend nicht still.
    Ich gebe zu: Immer wieder, wenn ich sie so erlebte, wurde ich ein bißchen stolz. Sie war ein wunderbares, kleines Menschchen. Und ein bißchen was davon hatte sie von uns. Unser Zusammenleben, unsere Gespräche, die Spiele, die wir mit ihr spielten, die Ausflüge, die wir zusammen unternahmen, all das trug zu dem bei, wie sie war.
    „Findest du nicht, daß es ein bißchen spät für sie ist?“ fragte ich Edvard, der Hannah mit derselben verliebten Bewunderung beobachtete.
    „Kim hat mir hoch und heilig versprochen, daß sie am Nachmittag sehr, sehr lange mit ihr ‚vorgeschlafen‘ hat.“
    Edvard hatte dasselbe gedacht wie ich, er war mir nur – wie so oft – einen Schritt voraus. Ich näherte mich seinen Lippen und küßte sie, fischte mit meiner Zunge nach seiner. Er hätte bestimmt nie erwartet, daß ich das tun würde, nicht hier, nicht vor meiner Mutter und meinen Schwestern.
    „Happy anniversary!“ flüsterte mir Edvard ins Ohr und zog mich fest an sich heran.
    „Happy anniversary!“ erwiderte ich. Er hielt mich, so daß mir fast die Luft wegblieb, schloß seine Augen und legte sein Gesicht an meine Brust. Dann gab er mir noch einen Kuß und tauchte in die Menge ein, die er so dringend brauchte; ich schaute ihm hinterher.
    Manchmal, wenn er von mir wegging, spürte ich diesen Schmerz, ein Ziehen in meinem Bauch, so wie in diesem Moment, und dann wurde mir klar, wie unglaublich groß meine Angst war, ihn zu verlieren. Mein Mann küßte diesen, umarmte jenen. Was hielt ihn davon ab, mit einem anderen durchzubrennen? Dieser Gedanke kam mir nicht oft, aber immer wieder. Ich stöberte in einem Buchladen, und plötzlich drängte er sich mir ins Bewußtsein: „Wenn du nach Hause kommst, ist Edvard nicht mehr da.“ Dann ließ ich alles liegen und lief los, schaute nach, ob er noch da war. Und wenn ich Edvard dann sah, atmete ich auf. Aber erst dann.
    Es passierte mir auch schon in der Schule. Es war die zweite Stunde, und ich hatte noch vier weitere vor mir; ich hätte es fast nicht ertragen.
    Aber Edvard war da, er war immer da, auch jetzt. Wir waren verheiratet, wir feierten unser erstes Jahr, jeder hier wußte, daß wir zusammengehörten. Und nichts konnte das erschüttern.
    „Na?“ sagte ich und setzte mich neben meine Mutter.
    Sie strich die Tischdecke glatt, pickte einen Brotkrümel auf und spielte damit. Sie sagte nichts; sie lächelte, rollte den Krümel zwischen den Fingern und lächelte.
    „He“, sagte ich noch mal, weil ich annehmen mußte, das sie mich nicht bemerkt hatte. Da wendete sie mir ihr Gesicht zu.
    „Hallo, mein Junge“, sagte sie leise, es klang fast brüchig. Ich sah, daß Tränen in ihren Augen standen.
    Sie war enttäuscht, dachte ich.
    „Ihr habt so viele nette Freunde. Schau. Ein ganzer Saal voll Menschen, die mit euch feiern. Sie sind euretwegen gekommen, um mit euch eure Beziehung zu feiern. Es ist ein Ausdruck von der Kraft, die eure Verbindung hat. Diese Party spiegelt eure Liebe füreinander wider.“
    Sie strich mir über die Stirn und legte ihre Hände auf meine Wange. Ich war dankbar, sonst wäre ich vielleicht umgekippt. Ich versuchte mich an die Worte, die sie gerade gesagt hatte, zu erinnern, weil sie an mir vorbeigegangen waren, aber mich trotzdem irgendwie getroffen hatten.
    „Wie seid ihr nur darauf gekommen?“ fragte ich, obwohl mir der Kloß im Hals das Sprechen schwer machte.
    „Deine Freunde haben von nichts anderem geredet, Bernhard. Herr Raimondo wollte sichergehen, daß es eine wunderschöne Party wird. Lipstick, Barbarella, Kim, selbst Max, sie haben mich von Anfang an mit einbezogen.“ Sie schaute auf meine Hand und streichelte sie. Sie hatte es gewußt und trotzdem meiner Bitte zugestimmt, wegzufahren. Ich kam mir unglaublich schlecht vor.
    „Ihr seid ihnen wichtig, verstehst du? Sie wollten, daß es was ganz Besonderes wird.“ Dann schaute sie mir wieder in die Augen. „Du hast wirklich sehr feine

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