Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
auf.
„Wer war das?“ fragte Edvard und gähnte.
„Mutter.“
„Kommt die Mama bald?“ fragte Hannah.
„Meine Mutter, Hannah. Meine, nicht deine.“
„Kommt meine Mama bald?“
„Was wollte sie denn?“ fragte Edvard, der den Schrecken in meinem Gesicht gesehen haben mußte. „Ist was passiert?“
„Sie will mich besuchen kommen.“ Ich lehnte mich gegen den Schreibtisch. Mir wurde plötzlich flau im Magen.
Edvard dagegen war mit einem Schlag hellwach: „Wow, super! Ich hab dir doch gesagt, daß es nur eine Frage der Zeit ist.“
Er ließ Hannahs Hand los und setzte sich auf den Stuhl. Hannah versuchte seinen Schoß zu erklimmen, was vor allem deswegen schwierig war, weil sie Gretl im Arm hielt, bis Edvard ihr unter die Arme griff.
„Malen wir jetzt ein Bild für die Mama?“ fragte Hannah.
„Warte, Goldköpfchen. Gleich“, sagte Edvard und strich ihr übers Haar. „Ich muß mit Berni mal eben was Wichtiges besprechen. Hier“, er deutete auf ihre Mal-Ecke, in der Blöcke lagen, Papierrollen und eine Schachtel Malstifte. „Nimm dir was raus und geh damit ins Wohnzimmer. Ich komm gleich nach.“
Sie schaute ihn mißtrauisch an.
„Versprochen“, fügte er hinzu und hob die Hand zum Schwur.
Hannah flüsterte Gretl etwas ins Ohr und rutschte beleidigt von seinem Schoß herunter. Edvard schaute ihr mit einem Schmerz in den Augen hinterher.
„Bleibt deine Mutter denn über Nacht?“ fragte er.
„Ich hab sie nicht gefragt.“
„Kommt sie mit dem Zug, oder holst du sie ab?“
„Ich hab keine Ahnung.“
„Weißt du, in welchem Planetensystem wir uns befinden?“ Er streckte den Kopf vor, um mir in die Augen schauen zu können.
„Sehr witzig, Edvard. Danke.“
„He, was ist denn los?“ Er stand auf und nahm mich in den Arm.
„Es beunruhigt mich einfach, das ist alles“, antwortete ich und schob ihn weg. „Seit Vater den Herzinfarkt hatte, hat sie mich nicht mehr nach meinem Leben gefragt. Und jetzt will sie mich plötzlich besuchen.“
„Du glaubst immer noch, daß sie dir den Tod deines Vaters anlastet. Diese Geschichte erzählst du mir seit Jahren. Das bildest du dir doch nur ein.“
„Und wenn nicht?“
„Professor. Wenn sie das wirklich annähme … Also sagen wir mal, daß sie tatsächlich glaubt, dein Vater hätte den Herzinfarkt nur bekommen, weil er damals erfahren hat, daß du schwul bist. Und nehmen wir mal an, daß sie wirklich so dumm ist, dir das anzulasten: Warum will sie dich dann besuchen?“
„Das ist genau die Frage, die mich beunruhigt“, antwortete ich.
Edvard ließ die Arme sinken, ging zwei Schritte von mir weg, drehte sich um die eigene Achse und kam dann wieder auf mich zu. „Kannst du es nicht einfach mal drauf ankommen lassen?“
Ich schaute ihn an, wie er da nackt vor mir stand. Es lag etwas Bittendes in seinem Blick. Ich hätte ja zu gerne geglaubt, daß meine Mutter mich einfach nur mal wieder sehen wollte, aber was Familie betraf, sprach ich ihm jegliche Kompetenz ab.
Seit sich Edvards Eltern vor Jahren getrennt hatten, weil sein Vater mit einer anderen Frau zusammenleben wollte, reiste seine Mutter in der Welt herum. Sie lebte in Ashrams in Indien, rauchte Joints am Strand von Goa mit Jungs, die halb so alt waren wie ihr Sohn, und sprach mit den Toten. Edvard behauptete, daß sie ihren Weg suchte und dem „Inneren Guru“ folgte.
Ich hatte bis jetzt nur einmal die Gelegenheit bekommen, sie kennenzulernen. Das war zu unserer Hochzeit. Sie blieb keine zwei Tage, dann „mußte sie wieder los“, wie sie es ausdrückte, als ob es da draußen in der Welt irgend etwas Wichtigeres gegeben hätte, als ein paar Tage mit ihrem Sohn zu verbringen. „Ich weiß, daß der eine für dich sorgt“, sagte sie zu Edvard. „Du brauchst mich nicht.“ Er lächelte zwar, aber ich sah, daß er sie am liebsten festgehalten hätte. Deswegen all die Freunde, deswegen Hannah, deswegen ich. Daher bezweifelte ich, daß Edvard meine Mutter meinetwegen bei uns haben wollte. Ich befürchtete, daß er so blind vor Sehnsucht nach Familie war, daß er das Offensichtliche übersah.
„Edat. Komm jetzt!“ schrie Hannah aus dem Wohnzimmer.
„Gleich, mein Schatz“, erwiderte er. Und zu mir sagte er: „Vergiß nicht, wenn sie uns nervt, hast du immer noch Hannah und mich und Raimondo und Kim und all die anderen. Wir sind jetzt deine Familie.“ Er gab mir einen Kuß auf die Stirn und ging. An der Tür drehte er sich um. „Hast du Lust, Brötchen zu
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